OLG Hamm v. 12.4.2024 - 26 U 2/23

Wirksamkeit eines Prozessvergleiches

Die Richtigkeit der Angaben eines gerichtlichen Sachverständigen ist kein von den Parteien als feststehend zu Grunde gelegter Sachverhalt gem. § 779 Absatz 1 BGB. Ein Fehler des Sachverständigen berechtigt nicht zur Anfechtung des Vergleiches.

Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte ursprünglich Schmerzensgeld und die Feststellung von Schadensersatzansprüchen infolge ärztlicher Behandlungen begehrt. Im Senatstermin vom 10.11.2023 haben die Parteien einen Vergleich geschlossen, nachdem die Beklagte zu 1) an den Kläger zur Abgeltung aller Forderungen im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen stationären Behandlung einen Betrag von 2.000 € gezahlt hatte. Der Kläger hat diesem Vergleich sofort vorbehaltlos zugestimmt, die Beklagten behielten sich zwar den Widerruf des Vergleichs bis zum 1.12.2023 vor. Dieser erfolgte allerdings nicht.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 14.11.2023 gegenüber den Beklagtenvertretern die Anfechtung des Vergleichs bzw. seiner Willenserklärung zum Abschluss des Vergleichs gem. §§ 119, 123 BGB erklärt. Er beantragte nunmehr, die Beklagten zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes zu verpflichten. Die Angaben des gerichtlichen Sachverständigen seien falsch gewesen. Dies habe zu einem beiderseitigen Irrtum über einen Umstand geführt, der außerhalb des Streits der Parteien lag.

Das OLG hat festgestellt, dass der Rechtsstreit sich durch Vergleich vom 10.11.2023 erledigt hatte.

Die Gründe:
Die vom Kläger erklärte Anfechtung des Vergleichs konnte nicht durchgreifen.

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Prozessvergleich den Rechtsstreit nicht beendet hat, trägt derjenige, der dies geltend macht, hier der Kläger. Ein Vergleich ist nach § 779 Abs. 1 BGB, der auch auf Prozessvergleiche anwendbar ist, dann unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vergleichs als feststehend zu Grunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde. Geregelt wird hier der Fall eines beiderseitigen Irrtums über einen Umstand, der außerhalb des Streits der Parteien lag. Die Richtigkeit der Angaben eines gerichtlichen Sachverständigen ist allerdings kein von den Parteien als feststehend zu Grunde gelegter Sachverhalt (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 21.2.2005 - 13 U 25/04).

Die Parteien sind gerade nicht übereinstimmend von dem Bestehen einer bestimmten Behandlungsalternative ausgegangen; vielmehr wurde durch die Beweisaufnahme diese durch das Gutachten erst ermittelt und erörtert. Für streitige oder ungewisse Umstände, deren Bedeutung und Folgen die Parteien zur Streitbeilegung im Vergleich regeln, die in Wahrheit aber von den angenommenen Größen abweichen, übernehmen die Parteien selbst das Risiko.

Der Vergleich war nicht auf Grund der erklärten Anfechtung des Klägers vom 14.11.2023 unwirksam. Der Tatbestand des § 119 Abs. 1 BGB war nicht erfüllt. Der Kläger befand sich bei seiner Erklärung nicht über deren Inhalt im Irrtum; er wollte auch eine Erklärung dieses Inhalts abgeben. Auch die Voraussetzungen des § 123 Abs. 2 BGB lagen nicht vor. Es war - was der Kläger darzulegen und zu beweisen hätte - bereits weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich, dass überhaupt eine arglistige Täuschung des Sachverständigen oder auch nur eine bewusst falsche Angabe des Sachverständigen vorgelegen hatte. Die Behauptung des Klägers, der Sachverständige habe gewusst, dass seine Angaben nicht stimmten, erfolgte ersichtlich ins Blaue hinein. Hierfür waren keinerlei Anknüpfungstatsachen vorgetragen oder sonst ersichtlich. Der Kläger trug vielmehr selbst vor, es könne insoweit „nur gemutmaßt werden“.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 10.06.2024 14:05
Quelle: Justiz NRW

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