BGH v. 14.12.2022 - IV ZB 1/22

Vorliegen einer Entscheidung nach § 322 Abs. 2 ZPO auch bei Nichtberücksichtigung einer zur Aufrechnung gestellten Forderung

Eine der Rechtskraft fähige Entscheidung gem. § 322 Abs. 2 ZPO liegt auch dann vor, wenn eine hilfsweise zur Aufrechnung gestellte Forderung unberücksichtigt bleibt, weil es an der Gegenseitigkeit i.S.v. § 387 BGB fehlt.

Der Sachverhalt:
Das AG verurteilte den Beklagten zur Zahlung von rd. 513 €. Zu einer Hilfsaufrechnung des Beklagten mit einer Gegenforderung i.H.v. rd. 335 € führte es aus, der Beklagte könne gegen den Anspruch der Klägerin nicht aufrechnen, da es an der Gegenseitigkeit der Forderungen fehle.

Das LG verwarf die Berufung des Beklagten, mit der er seinen Antrag auf Klageabweisung unter Aufrechterhaltung der Hilfsaufrechnung weiterverfolgte, als unzulässig. Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten hob der BGH den Beschluss des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Nach ständiger BGH-Rechtsprechung ist die beklagte Partei zusätzlich zur Klageforderung in Höhe des Betrages ihrer vorsorglich zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung dann beschwert, wenn das Gericht das Bestehen der Gegenforderung verneint hat und im Falle der Rechtskraft des Urteils das Nichtbestehen der Gegenforderung nach § 322 Abs. 2 ZPO rechtskräftig festgestellt wäre. Ob eine der Rechtskraft fähige Entscheidung i.S.v. § 322 Abs. 2 ZPO vorliegt, wenn eine hilfsweise zur Aufrechnung gestellte Forderung unberücksichtigt bleibt, weil es nach Auffassung des Gerichts an der Gegenseitigkeit i.S.v. § 387 BGB fehlt, ist umstritten.

Ein Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung sowie eine Auffassung im Schrifttum gehen davon aus, dass in diesem Fall keine der Rechtskraft fähige Entscheidung i.S.v. § 322 Abs. 2 ZPO getroffen wird. Demgegenüber wird von der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung sowie von der herrschenden Auffassung im Schrifttum für den Fall der Nichtberücksichtigung einer Eventualaufrechnung mangels Gegenseitigkeit eine der Rechtskraft fähige Entscheidung nach § 322 Abs. 2 ZPO bejaht. Die zuletzt genannte Auffassung trifft zu.

Die Annahme des Gerichts, die Klageforderung sei mangels Gegenseitigkeitsverhältnisses nicht nach §§ 387, 389 BGB durch die Eventualaufrechnung des Beklagten erloschen, ist eine Entscheidung in der Sache und deshalb der Rechtskraft fähig i.S.v. § 322 Abs. 2 ZPO. Denn die Entscheidung umfasst in diesem Fall im Verhältnis der Prozessparteien die - für den Fall der Rechtskraft des Urteils endgültige - Klärung der Frage, ob dem Beklagten jedenfalls gegen den Kläger die Gegenforderung nicht zusteht. Dass der Beklagte hierdurch nicht gehindert wird, die Forderung in einem anderen Prozess geltend zu machen, steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass in der Rechtsprechung das Bestehen eines Gegenseitigkeitsverhältnisses als Voraussetzung für die Zulässigkeit der Aufrechnung bezeichnet wird, denn dies ändert nichts daran, dass eine Entscheidung in der Sache ergeht.

Der Wert der Beschwer des Beklagten beträgt demnach 847,50 €. Dem ausgeurteilten Zahlbetrag von 513 € ist der Wert der vom Beklagten im Wege der Hilfsaufrechnung geltend gemachten Gegenforderung i.H.v. 335 € hinzuzurechnen. Die Beschwer übersteigt demnach die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, so dass die Verwerfung der Berufung auf der Grundlage von § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO hier nicht in Betracht kam.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | BGB
§ 387 Voraussetzungen
Wagner in Erman, BGB, 16./17. Aufl. 2020/2023

Kommentierung | ZPO
§ 322 Materielle Rechtskraft
G. Vollkommer in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022

Zöller und Erman sind Bestandteil unseres umfassenden Aktionsmoduls Zivilrecht:
Sie können Tage nicht länger machen, aber effizienter. 6 Module vereint mit führenden Kommentaren, Handbüchern und Zeitschriften für die zivilrechtliche Praxis. Neu: Online-Unterhaltsrechner. Jetzt zahlreiche, bewährte Formulare mit LAWLIFT bearbeiten! Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. 4 Wochen gratis nutzen!



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 20.01.2023 10:24
Quelle: BGH online

zurück zur vorherigen Seite