Aktuell in der MDR

Irreführende Werbung mit „Klimaneutralität“ (Ernst, MDR 2022, 1320)

Es ist derzeit „in“, in der Werbung damit zu werben, das eigene Unternehmen sei besonders umweltfreundlich. Das Stichwort lautet „Klimaneutralität“. Dabei wird sich dieses Prädikat naturgemäß nicht daraus ergeben, dass bei Produktion und Transport der eigenen Leistungen und Produkte keinerlei Emissionen anfallen. Allerdings möchte man dieses Prädikat durch die Förderung von Umweltprojekten oder den Erwerb von „Ausgleichszertifikaten“ ermöglichen. Stefan Ernst gibt einen ersten Überblick über die aktuelle Rechtslage und geplante Änderung der UGP-Richtlinie, insbesondere mit Blick auf § 5a UWG.


I. Ein wenig Lauterkeitsrechtsgeschichte: „Corporate Social Responsibility“

II. Rechtsprechung zur Werbung mit „Klimaneutralität“

1. OLG Koblenz: CO2-neutrale Grablichter

2. LG Düsseldorf: Klimaneutrale Kerzen

3. LG Frankfurt/M.: Klimaneutrale Tiefkühlkroketten

4. LG Kiel: Klimaneutrale Müllbeutel

5. LG Konstanz: Klimaneutrales Heizöl

6. LG Oldenburg: Klimaneutrale Geflügelspezialitäten

7. LG Stuttgart: Investment mit positiver ökologischer Wirkung

8. LG Mönchengladbach: Klimaneutrale Marmelade

III. Wettbewerbszentrale und Literatur

IV. Geplante Änderung der UGP-Richtlinie

1. Irreführendes Handeln

2. Irreführendes Unterlassen

3. Anhang zu § 3 („Schwarze Liste“)

V. Fazit


I. Ein wenig Lauterkeitsrechtsgeschichte: „Corporate Social Responsibility“

Die Problematik der Zulässigkeit derartiger Werbung stellt sich insbesondere in lauterkeitsrechtlicher Hinsicht. Dies gründet nicht darin, dass die Werbung mit guten Taten allgemein verboten wäre (mittlerweile auch nicht mehr generell im Zusammenhang mit dem Absatz). Tue Gutes und rede darüber ist seit langem gestattet. Vor wenigen Jahren war der Begriff „Corporate Social Responsibility“ sehr in Mode.

Irreführung ist aber sehr wohl verboten, so dass das Werben mit „guten Taten“ stets auch das eigene Handeln in keiner Weise übertreiben darf oder übertrieben darzustellen geeignet sein dürfte. Dabei kann ein (kalkuliertes) Missverständnis auf Seiten der Zielgruppe hinreichend für eine Unzulässigkeit der Werbeaussage sein. Beispiele sind aus der Lebensmittelbranche bekannt. Bierwerbung zum Schutz des Amazonasgebietes („Saufen für den Regenwald“?) ist nur dann zulässig, wenn die vom umworbenen Verbraucher verstandene Aussage („Wir schützen einen qm Regenwald“ bedeutet im Verständnis des Publikums womöglich: „wir kaufen einen qm“) auch wahr ist. Noch allgemeinere Aussagen wie „Für jede verkaufte Tüte Bonbons schützen wir 50qm Arktis“ sind sehr problematisch (wie und wovor? vor der Klimaerwärmung?).

Bei den vorliegend zu beurteilenden Werbeaussagen ist zu fragen – kein Unternehmen arbeitet im Wortsinne „klimaneutral“ –, ob der Ausgleich durch den Erwerb von Zertifikaten überhaupt ausreichend sein kann, um diese Aussage zu rechtfertigen, und falls ja, welche Erklärungen erforderlich bzw. welche Formulierungen gestattet sind, um Missverständnissen bei der Zielgruppe vorzubeugen. Leider ist die hierzu bislang vorliegende Rechtsprechung ausgesprochen dünn.

II. Rechtsprechung zur Werbung mit „Klimaneutralität“

Nachdem in den Datenbanken nur drei ältere Entscheidungen zu finden sind, nahm die Sache gleichwohl im Jahre 2021 insgesamt Fahrt auf, nachdem die Wettbewerbszentrale – mit Ankündigung durch eine Pressemitteilung v. 19.5.2021 (dazu s.u. III.) – intensiver gegen das „Greenwashing“ (was ein moderner Begriff für Etikettenschwindel ist) vorzugehen begann.

1. OLG Koblenz: CO2-neutrale Grablichter

In einem Verfahren vor dem OLG Koblenz ging es um eine (irreführende) umweltbezogene Werbung für Grablichter mit dem Hinweis „CO2-neutral“ und „nachwachsend“. Die Bewerbung eines Grablichts mit dem Hinweis „CO2-neutral“ sei irreführend, wenn eine vollständige Kompensation der mit der Produktion des Grablichts entstandenen CO2-Emission nicht nachgewiesen ist. Zwar wisse der Verbraucher, dass Rohstoffe nicht ohne jeden Eingriff in die Natur gewonnen werden können. Trotz dieses Kenntnisstandes dürfe die Werbung mit besonderer Umweltfreundlichkeit aber nicht den unzutreffenden Eindruck vermitteln, ein Produkt sei völlig frei von umweltschädlichen Stoffen.

Außerdem müsse bei der Verwendung von umweltbezogenen Begriffen, die für den Verbraucher (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.11.2022 11:33
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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