OLG Frankfurt a.M. v. 19.5.2022 - 6 U 251/21

Auf Parkplätzen gilt nicht immer die Vorfahrtsregel „rechts vor links“

Auf Fahrgassen eines Parkplatzes, die vorrangig der Parkplatzsuche dienen und nicht dem fließenden Verkehr, gilt nicht die Vorfahrtsregel „rechts vor links“. Die Fahrer sind vielmehr verpflichtet, defensiv zu fahren und die Verständigung mit dem anderen Fahrer zu suchen.

Der Sachverhalt:
Der Kläger war auf dem Parkplatz eines Baumarktes in Wiesbaden in einem Unfall verwickelt. Der Betreiber hatte dort zuvor die Geltung der StVO angeordnet. Auf die zur Ausfahrt des Parkplatzgeländes führende Fahrgasse münden von rechts mehrere Fahrgassen ein. Der Beklagte befuhr eine dieser von rechts auf die Ausfahrtfahrgasse einmündenden Fahrgassen, an deren beiden Seiten sich im rechten Winkel angeordnete Parkboxen befanden. Auch die zur Ausfahrt führende Fahrgasse verfügt im linken Bereich über Parkboxen. Im Einmündungsbereich der Fahrgassen kam es zum Zusammenstoß mit dem klägerischen Fahrzeug.

Das LG hat der Klage auf Basis einer Haftung des Beklagten i.H.v. 25 % stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers führte vor dem OLG zu einer Abänderung der Haftungsquote auf 50%. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Die Gründe:
Die Verursachungsbeiträge der Fahrer der unfallbeteiligten Fahrzeuge war hier als gleichgewichtig anzusehen und der durch den Unfall verursachte Schaden zu teilen.

Der Beklagte konnte nicht geltend machen, dass sein Vorfahrtsrecht verletzt worden war. Zwar sind die Regeln der StVO auf öffentlich zugänglichen Privatparkplätzen-  wie hier - grundsätzlich anwendbar. Fahrgassen auf Parkplätzen sind jedoch keine dem fließenden Verkehr dienenden Straßen und gewährten deshalb keine Vorfahrt. Kreuzen sich demnach zwei dem Parkplatzsuchverkehr dienende Fahrgassen eines Parkplatzes, gilt für die herannahenden Fahrzeugführer das Prinzip der gegenseitigen Rücksichtnahme. Somit ist jeder Fahrzeugführer verpflichtet, defensiv zu fahren und die Verständigung mit dem jemals anderen Fahrzeugführer zu suchen.

Etwas Anderes gilt nur, wenn die angelegten Fahrspuren eindeutig und unmissverständlich Straßencharakter haben und sich bereits aus ihrer baulichen Anlage ergibt, dass sie nicht der Suche von freien Parkplätzen dienen, sondern der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge. Für einen solchen Straßencharakter kann sowohl die Breite der Fahrgassen sprechen als auch bauliche Merkmale einer Straße wie Bürgersteige, Randstreifen oder Gräben. Derartige straßentypische bauliche Merkmale fehlen hier allerdings. Die Fahrgassen dienen ersichtlich nicht dem fließenden Verkehr, da an ihnen jeweils Parkboxen angeordnet sind.

Da es am Straßencharakter auch für die vom Klägerfahrzeug befahrene Fahrgasse fehlte, hatte der Beklagte nicht die hohen Sorgfaltsanforderungen beim Einfahren auf eine Fahrbahn (§ 10 StVO) erfüllen müssen.

Mehr zum Thema:

Aufsatz
Hans-Willi Laumen
Der Anscheinsbeweis im Straßenverkehrsrecht (Teil 1)
MDR 2020, 1345

Aufsatz
Hans-Willi Laumen
Der Anscheinsbeweis im Straßenverkehrsrecht (Teil 2)
MDR 2020, 1415

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.07.2022 13:34
Quelle: OLG Frankfurt a.M. – PM Nr. 59 v. 7.7.2022

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