BGH v. 18.1.2023 - VII ZB 35/20

BGH ändert Rechtsprechung zum Pfändungsfreibetrag wegen gesetzlicher Unterhaltspflichten des Schuldners: Tatsächlich geleisteter Unterhalt maßgeblich

§ 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO ist dahin auszulegen, dass bei der Bestimmung des pfandfreien Betrags die laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten des Schuldners ggü. den dem Gläubiger vorgehenden oder gleichstehenden Unterhaltsberechtigten nur in dem Umfang zu berücksichtigen sind, in dem der Schuldner seine gesetzlichen Unterhaltspflichten den weiteren Unterhaltsberechtigten ggü. erfüllt oder in dem er von den weiteren Unterhaltsberechtigten im Wege der Zwangsvollstreckung in Anspruch genommen wird (Aufgabe von BGH, Beschluss v. 5.8.2010 - VII ZB 101/09).

Der Sachverhalt:
Der Gläubiger betreibt wegen seiner Unterhaltsansprüche gegen den Schuldner, seinen Vater, die Zwangsvollstreckung. Der Schuldner beantragte einen Pfändungsfreibetrag, da er noch ggü. einem zweiten Kind unterhaltspflichtig sei. Dabei kam er insgesamt seinen gesetzlichen Unterhaltverpflichtungen aber nur zum Teil nach.

Das AG wies die Vollstreckungserinnerung des Schuldners zurück. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners erhöhte das Beschwerdegericht den dem Schuldner verbleibenden pfandfreien Betrag zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflicht nur teilweise. Es erkannte die weitere Unterhaltspflicht des Schuldners nicht in der sich aus dem Gesetz ergebenden Höhe, sondern nur in Höhe des tatsächlich geleisteten - geringeren - Unterhalts für dieses Kind an.

Der BGH hat die dagegen erhobene Rechtsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen.

Die Gründe:
Betreibt der Gläubiger gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen Unterhaltsansprüchen im Sinne des § 850d ZPO, ist dem Schuldner gemäß § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO so viel zu belassen, als er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten ggü. den dem Gläubiger vorgehenden Berechtigten oder zur gleichmäßigen Befriedigung der dem Gläubiger gleichstehenden Berechtigten bedarf.

§ 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO ist dahin auszulegen, dass bei der Bestimmung des pfandfreien Betrags die laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten des Schuldners ggü. den dem Gläubiger vorgehenden oder gleichstehenden Unterhaltsberechtigten nur in dem Umfang zu berücksichtigen sind, in dem der Schuldner seine gesetzlichen Unterhaltspflichten den weiteren Unterhaltsberechtigten ggü. erfüllt oder in dem er von den weiteren Unterhaltsberechtigten im Wege der Zwangsvollstreckung in Anspruch genommen wird.

An der mit Beschluss vom 5. August 2010 (VII ZB 101/09, MDR 2010, 1214) vertretenen gegenteiligen Auffassung, wonach die gesetzlichen Unterhaltspflichten ggü. den weiteren Unterhaltsberechtigten bei der Bestimmung des pfandfreien Betrags auch dann in vollem Umfang zu berücksichtigen sind, wenn der Schuldner ihnen nur teilweise nachkommt, hält der Senat aus nachfolgenden Gründen nicht fest:

Der Wortlaut des § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO ist insoweit nicht eindeutig. Er kann zwar dahin verstanden werden, dass auf den Betrag abzustellen ist, der zur Erfüllung der laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten potentiell erforderlich wäre. Es kommt jedoch auch ein Verständnis in Betracht, wonach ein Bedarf des Schuldners zur Erfüllung der laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten nur in dem Umfang anzunehmen ist, in dem er tatsächlich - sei es freiwillig oder im Wege der Zwangsvollstreckung - leistet.

Nach Sinn und Zweck des Gesetzes ist indes die letztgenannte Auslegung des § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO zutreffend.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Interessen der Unterhaltsgläubiger im Vollstreckungsrecht einen hohen Schutz genießen. Dies kommt in § 850d Abs. 1 ZPO zum Ausdruck, der die dort bezeichneten Unterhaltsgläubiger vollstreckungsrechtlich privilegiert.
 

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Aufsatz:
Die Entwicklung des Unterhaltsrechts im Jahr 2022
FuR 2023, 2

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.03.2023 16:14
Quelle: BGH online

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