Aktuell in der MDR

Die Entwicklung des Reiserechts der Luftbeförderung einschließlich der EU-Fluggastrechte-VO im Jahr 2021 (Achilles-Pujol, MDR 2023, 65)

Dieser Beitrag führt die jährlichen Übersichten zum Reiserecht der Luftbeförderung von Prof. Dr. Ernst Führich fort und knüpft an dessen Beitrag in MDR 2021, 909 an. Dargestellt werden die wesentlichen Entwicklungen des Luftbeförderungsrechts im Jahr 2021 sowie punktuell auch aus dem Jahr 2022.


I. Fluggastrechte-VO (EG) Nr. 261/2004

1. Internationale Zuständigkeit

2. Direkte Anschlussflüge

3. Fluggastrechte bei kostenloser Beförderung und vergünstigtem Tarif

a) Kostenlose Beförderung von Kleinkindern

b) Vergünstigter Firmentarif

4. Rechtsfolgen bei Flugumleitung

5. Beweislast für Ankunftsverspätung

6. Außergewöhnliche Umstände und zumutbare Maßnahmen

a) Beschädigung des Flugzeugs

b) Streik

c) Vorflugproblematik

7. Unterrichtung bei Annullierung eines über einen Vermittler gebuchten Fluges

a) Informationsrisiko und Beweislast beim ausführenden Luftfahrtunternehmen

b) Kenntnis des ausführenden Luftfahrtunternehmens und Vertragsverhältnis nicht erforderlich

c) Verweis auf Regress gegen den Vermittler

8. Vorverlegung eines Fluges

9. Anrechnung nach Art. 12 Fluggastrechte-VO

II. Montrealer Übereinkommen

1. Internationale Zuständigkeit

2. Unfall und Mitverschulden gem. Art. 20 MÜ

3. Verspätungsschaden

III. Ausblick


I. Fluggastrechte-VO (EG) Nr. 261/2004

1. Internationale Zuständigkeit


Gemäß Art. 7 Nr. 5 der Brüssel Ia-VO kann eine Person am Gericht des Ortes ihrer Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung verklagt werden, sofern es sich um Streitigkeiten aus dem Betrieb einer solchen handelt. In einem vom BGH entschiedenen Rechtsstreit hatte die beklagte Fluggesellschaft in Deutschland eine Betriebsstätte mit einem dort ansässigen Geschäftsführer, in der u.a. Mitarbeiter tätig waren, die Angebote für den deutschen Markt erstellten. Nach Auffassung des Senats existierte auch der notwendige Bezug der Streitigkeit zu dieser Betriebsstätte, da diese gegenüber Kunden, die Buchungen über die Website mit der deutschen toplevel-Domain (... .de) vorgenommen haben, als diejenige Stelle aufgetreten ist, die die Buchungen anbietet und die Verträge mit den Kunden abschließt. Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass die Zweigniederlassung im Impressum der Website als „A. in Deutschland“ bezeichnet sei. Auch wurde die deutsche Sprache verwendet.

2. Direkte Anschlussflüge

Häufig stellt sich die Frage, ob die Fluggastrechte-VO auf zusammengesetzte Flüge anwendbar ist. Maßgeblich ist dafür, ob es sich um direkte Anschlussflüge i.S.v. Art. 2 lit. h Fluggastrechte-VO handelt. Hierzu hat sich der EuGH in der Vergangenheit bereits mehrfach geäußert, dennoch sind einige Fragen noch ungeklärt, insbesondere, wenn Teil-Flüge verschiedener Fluggesellschaften kombiniert werden oder die Zusammenstellung durch Dritte (insbesondere Reisemittler bzw. Online-Plattformen) erfolgt und die verschiedenen Akteure teilweise in keiner vertraglichen Beziehung zueinander stehen.

Am 22.6.2021 hat der BGH gleich zwei Vorabentscheidungsersuchen zu zusammengesetzten Flügen an den EuGH gerichtet. Im Verfahren X ZR 2/20 hatte der Fluggast über eine Internetplattform einen Flug München–London (mit der beklagten Fluggesellschaft) und London–Newquay (mit einer anderen Fluggesellschaft) gebucht. Auf dem von der Beklagten durchgeführten ersten Teilflug kam es zu einer zweistündigen Verspätung, woraufhin der Fluggast den Anschlussflug verpasste und Newquay daher mit erheblicher Verspätung erreichte. Es stellte sich die Frage, ob direkte Anschlussflüge vorliegen, wenn ein Reisevermittler Teilflüge von unterschiedlichen Luftfahrtunternehmen zu einem Beförderungsvorgang zusammenfasst, dem Fluggast hierfür einen Gesamtpreis in Rechnung stellt und ein einheitliches elektronisches Ticket ausgibt, oder ob es darüber hinaus einer besonderen rechtlichen Beziehung zwischen den ausführenden Luftfahrtunternehmen bedarf. Das Verfahren war beim EuGH als Rechtssache C-435/21 anhängig, wurde jedoch nach Zurücknahme aus dem Register gestrichen.

Im Verfahren X ZR 15/20 buchte der Fluggast über ein Reisebüro einen Flug Stuttgart–Zürich mit einer Fluggesellschaft und Flüge mit der Beklagten von Zürich nach Philadelphia und von Philadelphia nach Kansas City. Während der erste und der zweite Flug planmäßig durchgeführt wurden, startete der letzte Teilflug verspätet und erreichte Kansas City mit einer Verspätung von mehr als vier Stunden. Die Frage der Anwendbarkeit der Fluggastrechte-VO stellte sich hier auch deswegen, weil weder der verspätete letzte Teilflug noch der vorangegangene, ebenfalls von der Beklagten durchgeführte Teilflug vom Gebiet eines Mitgliedstaates der Gemeinschaft starteten. Auch hier stellte sich also primär die Frage, ob direkte Anschlussflüge i.S.v. Art. 2 lit. h der Fluggastrechte-VO schon dann vorliegen, wenn ein Reisebüro Teilflüge von unterschiedlichen Luftfahrtunternehmen zu einem Beförderungsvorgang zusammenfasst, dem Fluggast hierfür einen Gesamtpreis in Rechnung stellt und ein einheitliches elektronisches Ticket ausgibt, oder ob es darüber hinaus einer besonderen rechtlichen Beziehung zwischen den ausführenden Luftfahrtunternehmen bedarf.

Zwei weitere Vorlagefragen bezogen sich auf die Anforderungen an die besondere rechtliche Beziehung zwischen den Luftfahrtunternehmen sowie darauf, ob die Verordnung auf einen Flug mit Start in der Schweiz und Landung in einem Drittstaat anwendbar sein könne. (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.01.2023 14:12
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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