Aktuell in der MDR

Der Dieselskandal in der Rechtsprechung 2021 (Müller/Schneider, MDR 2022, 601)

Der sog. Dieselskandal war der Urknall für eine Klageindustrie, die bis heute in (un-)regelmäßigen Abständen unterschiedlich starke Klagewellen lostritt, die Gerichte – instanzenübergreifend – überflutet und an ihre kapazitiven Belastungsgrenzen bringt. Die Digitalisierung des Rechtsmarkts befeuert diese Entwicklung zugunsten der Klageparteien. Nach wie vor haben die Gerichte eine erhebliche Masse an Klagen mit Abgasbezug zu bewältigen. Mit der Vielzahl an Rechtsstreitigkeiten korrespondieren zahlreiche, teils hochinteressante, Rechtsfragen. Die Autoren stellen fünf ausgewählte Entscheidungen der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung mit Bezug zum sog. Dieselskandal aus dem Jahr 2021 dar.


1. Ausschluss des Nachlieferungsanspruchs mangels Verfügbarkeit eines nacherfüllungstauglichen Neufahrzeugs

a) Sachverhalt

b) Wahlrecht des Käufers

c) Zeitraum für die Geltendmachung des Nachlieferungsanspruchs

2. Zuzahlungsobliegenheit des Käufers bei Nachlieferung eines höherwertigen Nachfolgemodells

a) Vorliegen eines erheblichen Mehrwerts

b) Kriterien zur Feststellung eines erheblichen Mehrwerts

c) Ausgleich gegenläufiger Interessen

3. Feststellung des Annahmeverzugs

4. Bemessung des Nutzungsvorteils bei Leasingfahrzeugen

a) Grundsätze über Vorteilsausgleichung

b) Besonderheiten der Fahrzeugnutzung beim Leasing

5. Keine Haftung des Kraftfahrzeugherstellers bei Lotteriegewinn

6. Fazit


1. Ausschluss des Nachlieferungsanspruchs mangels Verfügbarkeit eines nacherfüllungstauglichen Neufahrzeugs

Der BGH hat den gewährleistungsrechtlichen Anspruch des Käufers auf Nachlieferung eines mangelfreien Fahrzeugs – ungeachtet der Verjährungsvorschriften – mit gleich drei Entscheidungen vom 21.7.2021 in ein enges zeitliches und vorher nicht existentes Korsett geschnürt: Ist lediglich ein Nachfolgemodell der erworbenen Sache (insbesondere eines Fahrzeugs) lieferbar, hat der Käufer sein Nachlieferungsbegehren innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren – beginnend ab dem Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses – geltend zu machen. Ansonsten ist der Anspruch auf Nacherfüllung bereits mangels eines nacherfüllungstauglichen Neufahrzeugs gem. § 275 Abs. 1 BGB wegen Unmöglichkeit ausgeschlossen. Dogmatischer Anker ist die Vertragsauslegung (§§ 133,157 BGB).

a) Sachverhalt

In dem der Entscheidung VIII ZR 254/20 zugrunde liegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger zuletzt von der Beklagten, die Nachlieferung eines VW Tiguan II Offroad aus der zu jenem Zeitpunkt aktuellen Serienproduktion der Herstellerin mit einem 190 PS starken Motor und in der für diesen Fahrzeugtyp bestimmten Serienausstattung. Ursprünglich erwarb der Kläger von der Beklagten – aufgrund eines Kaufvertrages vom 20.4.2009 – einen fabrikneuen VW Tiguan I Track & Field 4MOTION mit einem 170 PS starken 2,0-Liter-Dieselmotor des Typs EA 189 (Abgasnorm Euro 5), der aus nunmehr offenkundigen Gründen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO 715/2007/EG i.V.m. Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG versehen, mithin mangelhaft war.

b) Wahlrecht des Käufers

Der Käufer einer mangelhaften Sache kann gem. § 439 Abs. 1 BGB nach seiner Wahl vom Verkäufer die Beseitigung des Mangels (sog. Nachbesserung) oder die Lieferung einer mangelfreien Sache (sog. Nachlieferung) verlangen, ohne aufgrund eines gegenläufigen Interesses des Verkäufers eingeschränkt zu sein. Der Verkäufer ist nur in engen Grenzen berechtigt, die grundsätzlich frei wählbare Art der Nacherfüllung durch Erhebung einer entsprechenden Einrede zu verweigern, vgl. § 439 Abs. 4 BGB.

Der BGH hat sich in seinen Entscheidungen – wegweisend – insbesondere mit den zeitlichen Grenzen des Nachlieferungsanspruchs aus § 439 Abs. 1, 2. Var. BGB befasst, in diesem Zuge die höchstrichterliche Rechtsprechungslinie zur inhaltlichen Ausgestaltung des Nachlieferungsanspruchs aber zunächst einmal (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.05.2022 16:51
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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