OLG Hamburg v. 4.4.2022 - 15 W 18/22

Gerichtliche Zuständigkeit bei Sperrung eines „Verlagskontos“

Begehrt der Antragsteller allein gestützt auf Lauterkeitsrecht das Unterlassen der Sperrung einer Funktion (hier: eines „Verlagskontos“), das ihm vom Antragsgegner auf Grundlage eines Vertrags zur Verfügung gestellt wurde, so handelt es sich um einen Anspruch aus einem Vertrag i.S.v. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO, wenn eine Vertragsauslegung unerlässlich ist, um zu klären, ob die Sperrung rechtmäßig oder rechtswidrig ist.

Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin betreibt einen Online-Verlag. Die Antragsgegnerin ist eine in Luxemburg ansässige Gesellschaft luxemburgischen Rechts, die den Dienst „K. D. Publishing“ (im Folgenden: KDP) betreibt. Die Parteien sind seit mehreren Jahren vertraglich dergestalt verbunden, dass die Antragstellerin über ein KDP-Konto bei der Antragsgegnerin verfügt. Über dieses Konto vertreibt die Antragstellerin Bücher (zuletzt mehr als 150 eBooks bzw. Taschenbücher) und erzielt daraus ganz maßgeblich ihren wirtschaftlichen Gewinn.

Nachdem am 15.12.2021 ein Fernsehbericht des ARD-Magazins „PlusMinus“ unter dem Titel „Abzocke mit Schrottbüchern?“ zum Thema „Fake-Bücher“ und „Fake-Autoren“ ausgestrahlt worden war, in dem auch das Geschäftsmodell der Antragstellerin zur Sprache kam, sperrte die Antragsgegnerin am 18.12.2021 das KDP-Konto der Antragstellerin.

Die Antragstellerin begehrte daraufhin im Wege des Eilrechtsschutzes, der Antragsgegnerin aufzugeben, es zu unterlassen, das „KDP-Konto“ der Antragstellerin zu deaktivieren bzw. zu schließen und Tantiemen einzubehalten. Dazu stützte sie sich auf das in § 4 Nr. 4 UWG normierte, ihrer Ansicht nach durch die Antragsgegnerin verletzte Verbot der gezielten Behinderung eines Mitbewerbers, wobei sie sich als Mitbewerberin der Antragsgegnerin - ihrer Vertragspartnerin - ansieht. Die Antragsgegnerin hält die deutschen Gerichte für international unzuständig.

Das LG hat den Antrag zurückgewiesen mit der Begründung, dass es mangels internationaler Zuständigkeit deutscher Gerichte unzulässig sei. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Antragstellerin blieb vor dem OLG erfolglos.

Die Gründe:
Das LG hat zutreffend angenommen, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mangels bestehender internationaler Zuständigkeit des LG Hamburg unzulässig ist.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob die von den Parteien für den vorläufigen Rechtsschutz in Ziffer 10.1. der unstreitig vereinbarten Vertragsbedingungen getroffene Gerichtsstandsvereinbarung für den Eilrechtsschutz zugunsten der Gerichte des US-Bundesstaates Washington ausschließlich und wirksam ist oder nicht. Wenn sie als ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung wirksam wäre, bestünde hier kein internationaler Gerichtsstand. Aber auch wenn sie nicht wirksam bzw. nicht ausschließlich wäre, wären die deutschen Gerichte nicht international zuständig.

Die Antragsgegnerin, eine Gesellschaft luxemburgischen Rechts, hat ihren Sitz in Luxemburg, einem anderen EU-Mitgliedsstaat. Daher sind die Regelungen der EuGVVO (Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, auch Brüssel Ia-VO, (im Folgenden stets „EuGVVO“) einschlägig. Für die nach der EuGH-Rechtsprechung im Rahmen von Art. 35 EuGVVO nötige „reale Verknüpfung“ zwischen dem Gegenstand der beantragten einstweiligen Maßnahme und der gebietsbezogenen gerichtlichen Zuständigkeit ist eine bloße Auswirkung des begehrten Unterlassens im Staat des angerufenen Gerichts nicht ausreichend (Anschluss an OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.3.2021 - I-20 U 269/20; Abgrenzung zu OGH, Urt. v. 16.12.2010 - 17 Ob 13/10a und OGH, Beschl. v. 28.2.2012 - 4 Ob 2/12a). Art. 35 EuGVVO ist insofern enger auszulegen als Art. 7 Nr. 2 EuGVVO: Es kommt auf den Inhalt der begehrten Maßnahme an, nicht auf ihre Auswirkungen bzw. die Auswirkungen einer zuvor begangenen Zuwiderhandlung.

Zur Abgrenzung zwischen Art. 7 Nr. 1 und Nr. 2 EuGVVO: Begehrt der Antragsteller allein gestützt auf Lauterkeitsrecht das Unterlassen der Sperrung einer Funktion (hier: eines „Verlagskontos“), das ihm vom Antragsgegner auf Grundlage eines Vertrags zur Verfügung gestellt wurde, so handelt es sich um einen Anspruch aus einem Vertrag i.S.v. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO, wenn eine Vertragsauslegung unerlässlich ist, um zu klären, ob die Sperrung rechtmäßig oder rechtswidrig ist (Anschluss an EuGH, Urt. v. 13.3.2014 - C-548/12 „Brogsitter“ und EuGH, Urt. v. 24.11.2020 - C-59/19 „Wikingerhof/Booking.com“).

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 10.05.2022 14:24
Quelle: Landesrecht Hamburg

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