OLG Karlsruhe v. 7.4.2022 - 12 U 285/21

Rechtsschutzdeckung für Schadensersatzanspruch eines Wirecard-Anlegers

Zwar ist im Rahmen von § 826 BGB selbst bei extrem unseriöser Kapitalmarktinformation grundsätzlich der Nachweis der konkreten Kausalität für den Willensentschluss des Anlegers erforderlich, während das enttäuschte allgemeine Anlegervertrauen auf die Erfüllung der in die Anlage gesetzten Erwartungen nicht ausreichend ist. In dem hiesigen Sonderfall des gezielten „Aufblähens“ der Bilanzen in erheblichem Umfang zum Zwecke der Verschleierung von Verlusten der Aktiengesellschaft ist es aber jedenfalls vertretbar, eine Kausalität zwischen der gezielten Verbreitung der Falschinformationen und der individuellen Anlageentscheidung zu vermuten.

Der Sachverhalt:
Die Parteien sind durch einen Rechtsschutzversicherungsvertrag miteinander verbunden. Der Kläger hatte am 12.5.2020 insgesamt 100 Aktien der Wirecard AG (ISIN De0007472060) zu einem Kaufpreis von je 87,25 €, insgesamt für 8.724,90 € erworben. Am 29.7.2020 forderte der Kläger die Beklagte auf, Deckungszusage für die außergerichtliche und gerichtliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen die Vorstände sowie gegen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu erteilen. Die Beklagte lehnte dies grundsätzlich ab.

Der Kläger hat vorgetragen, seine Klage habe hinreichende Aussicht auf Erfolg und sei nicht mutwillig. Der Schadenersatz sei in der Hauptsache auf Erstattung des Kaufpreises für die Aktien der Wirecard AG gerichtet. Die Beklagte war der Ansicht, der Kläger habe zunächst die bereits anhängigen übrigen Verfahren gegen die drei Anspruchsgegner in gleicher Sache abzuwarten.

Das LG hat antragsgemäß festgestellt, dass die Beklagte zur Gewährung von Deckungsschutz für die außergerichtliche und erstinstanzliche Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs gegen die drei Anspruchsgegner verpflichtet ist. Das OLG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Gründe:
Die Beklagte kann sich weder auf das Fehlen einer hinreichenden Erfolgsaussicht noch auf Mutwilligkeit berufen. Das beabsichtigte Vorgehen gegen die drei Anspruchsgegner hat hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Hinreichende Erfolgsaussicht besteht zunächst für das beabsichtigte Vorgehen gegen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung i.S.v. § 826 BGB. Die Haftung eines Wirtschaftsprüfers aus § 826 BGB wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung von Kapitalanlegern kommt in Betracht, wenn der Bestätigungsvermerk nicht nur unrichtig ist, sondern der Wirtschaftsprüfer seine Aufgabe nachlässig erledigt hat, etwa durch unzureichende Ermittlungen oder durch Angaben ins Blaue hinein, und er dabei eine Rücksichtslosigkeit an den Tag gelegt hat, die angesichts der Bedeutung des Bestätigungsvermerks für die Entscheidung Dritter als gewissenlos erscheint (BGH, Urt. v. 12.3.2020 - VII ZR 236/19).

Die Einschätzung des Klägers, dass die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in diesem Sinne sittenwidrig gehandelt und ihm dadurch einen Vermögensschaden zugefügt hat, ist auf Basis seines schlüssigen und unter Beweis gestellten Vortrags im Klageentwurf jedenfalls vertretbar. Die Behauptung hat der Kläger mit der beantragten Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellt. Die Abweisung der Klagen anderer Anleger gegen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft durch das LG München I steht der Erfolgsaussicht nicht entgegen.

Auch für das Vorgehen gegen die ehemaligen Vorstände ist hinreichende Erfolgsaussicht gegeben. Die Voraussetzungen für einen Anspruch aus § 826 BGB sind im Klageentwurf schlüssig dargelegt und mit geeigneten Beweismitteln unter Beweis gestellt. Zwar ist im Rahmen von § 826 BGB selbst bei extrem unseriöser Kapitalmarktinformation grundsätzlich der Nachweis der konkreten Kausalität für den Willensentschluss des Anlegers erforderlich, während das enttäuschte allgemeine Anlegervertrauen auf die Erfüllung der in die Anlage gesetzten Erwartungen nicht ausreichend ist. In dem hiesigen Sonderfall des gezielten „Aufblähens“ der Bilanzen in erheblichem Umfang zum Zwecke der Verschleierung von Verlusten der Aktiengesellschaft ist es aber jedenfalls vertretbar, eine Kausalität zwischen der gezielten Verbreitung der Falschinformationen und der individuellen Anlageentscheidung zu vermuten.

Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass der Kläger seine Anlageentscheidung im Vertrauen auf die - nach dem substantiierten Vortrag des Klägers u.a. durch die beiden Anspruchsgegner veranlasste - gezielte Vorspiegelung der Wirecard AG als finanzkräftiges und erfolgreiches Unternehmen getroffen hat. Dass der ehemalige Chief Operating Officer der Wirecard AG M. untergetaucht und sein aktueller Aufenthaltsort unbekannt ist, steht einer Erfolgsaussicht der auch gegen ihn gerichteten Klage nicht entgegen. Zu Recht weist der Kläger darauf hin, dass dieses Problem durch eine öffentliche Zustellung der Klage nach § 185 ZPO überwunden werden kann.

Die Beklagte kann schließlich auch nicht geltend machen, dass der Kläger zunächst den Fortgang der weiteren laufenden Verfahren abwarten müsse. Ob im Einzelfall eine Mutwilligkeit daraus abgeleitet werden kann, dass eine musterprozesshaft wirkende Entscheidung bevorsteht, in der im Wesentlichen über denselben Rechtsverstoß wie vom Versicherungsnehmer geltend gemacht entschieden wird bedarf keiner Entscheidung. Einer Mutwilligkeit stehen hier jedenfalls die Gefahr einer Insolvenz der Anspruchsgegner und die laufende Verjährung entgegen.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.05.2022 16:26
Quelle: Landesrecht Brandenburg

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