EuGH v. 5.5.2022 - C-646/20

Zur Anerkennung ausländischer nichtgerichtlicher Scheidungen

Generalanwalt Collins hat seine Schlussanträge zu der Frage vorgelegt, ob eine in Italien in einem nichtgerichtlichen Verfahren erfolgte einvernehmliche Scheidung in Deutschland automatisch anzuerkennen ist.

Der Sachverhalt:
Nach Art. 21 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 (Brüssel-IIa-Verordnung) werden die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Mit dieser Verordnung ist somit ein System der automatischen Anerkennung einer von ihr definierten Kategorie von Rechtsinstrumenten durch die Mitgliedstaaten geschaffen worden. Obwohl das Scheidungsrecht zwischen den Mitgliedstaaten nicht harmonisiert ist, kommt somit aufgrund der Verordnung eine in einem Mitgliedstaat ergangene Scheidung, die unter die in ihr enthaltenen Definitionen fällt, vorbehaltlich einer begrenzten Zahl von Ausnahmen, automatisch in den Genuss der automatischen Anerkennung in allen anderen Mitgliedstaaten.

Im vorliegenden Fall geht es um eine Scheidung nach italienischem Recht, bei der die Ehegatten jeweils eine persönliche Erklärung abgeben, dass sie sich vor dem Zivilstandsbeamten scheiden lassen wollen. Diese Vereinbarung wird mindestens 30 Tage später vom Zivilstandsbeamten bestätigt, nachdem er festgestellt hat, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Auflösung der Ehe erfüllt sind, nämlich dass die Ehegatten keine minderjährigen Kinder und keine volljährigen geschäftsunfähigen, schwerbehinderten oder wirtschaftlich unselbständigen Kinder haben und dass die Vereinbarung zwischen ihnen keine Regelungen über die Übertragung von Vermögenswerten zwischen ihnen enthält. Die vom Urkundsbeamten erlassene Scheidung hat in Italien die gleiche Rechtswirkung wie eine von einem zuständigen Gericht erlassene Scheidung.

Der BGH möchte vom EuGH wissen, ob die Brüssel-IIa-Verordnung über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen die Mitgliedstaaten verpflichtet, eine in einem nichtgerichtlichen Verfahren auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen den Ehegatten von den Zivilstandsbehörden eines anderen Mitgliedstaats erlassene Scheidungsentscheidung ohne weitere Voraussetzungen anzuerkennen.

Die Gründe:
Eine Scheidungsentscheidung, die auf diese Weise erwirkt wird, stellt keine Privatscheidung dar. Zwar beruht die Auflösung der Ehe auf dem Einvernehmen ihrer Parteien, die Ehe wird jedoch nur dann aufgelöst, wenn der Zivilstandsbeamte zu dem Schluss gekommen ist, dass die geltenden gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Ohne diese Feststellung bleiben die Ehegatten unabhängig davon, welche Vereinbarung sie möglicherweise untereinander getroffen haben, im Rechtssinn verheiratet. Erkennt der Zivilstandsbeamte an, dass die geltenden Voraussetzungen erfüllt sind, und erteilt er eine dies belegende Bescheinigung über die Scheidung, hat dies somit konstitutive Wirkungen.

Die Auflösung einer Ehe in einem gesetzlich geregelten Verfahren, bei dem beide Ehegatte vor einem Zivilstandsbeamten jeweils persönlich erklären, dass sie sich scheiden lassen wollen, und der Zivilstandsbeamte dieses Einvernehmen mindestens 30 Tage später in ihrer Anwesenheit bestätigt, nachdem er festgestellt hat, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Auflösung der Ehe erfüllt sind (nämlich dass die Ehegatten keine minderjährigen Kinder und keine volljährigen geschäftsunfähigen, schwerbehinderten oder wirtschaftlich unselbständigen Kinder haben und dass die Vereinbarung zwischen ihnen keine Regelungen über die Übertragung von Vermögenswerten enthält), ist eine Scheidungsentscheidung i.S.d. Brüssel-IIa-Verordnung.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.05.2022 09:58
Quelle: EuGH PM Nr. 27 vom 10.2.2022

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