BGH v. 22.9.2021 - XII ZB 544/20

Empfänger von Altersvorsorgeunterhalt darf Unterhaltsbeträge auch in privater Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht anlegen

Dem Empfänger von Altersvorsorgeunterhalt obliegt es, die erhaltenen Unterhaltsbeträge in einer für die spätere Erzielung von Alterseinkünften geeigneten Form anzulegen. Statt freiwillige Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen, kann er auch eine private Rentenversicherung abschließen. Dass diese ein Kapitalwahlrecht vorsieht, steht nicht entgegen. Aufgrund des Unterhaltsrechtsverhältnisses obliegt es zwar grundsätzlich beiden (geschiedenen) Ehegatten, ihre (Gesamt-)Einkommensteuerbelastung möglichst gering zu halten. Der Unterhaltsberechtigte ist aber, insbesondere im Rahmen des steuerlichen Realsplittings, nicht gehalten, den Altersvorsorgeunterhalt in einer zum Sonderausgabenabzug berechtigenden zertifizierten Rentenversicherung (hier sog. Rürup-Rente) anzulegen.

Der Sachverhalt:
Die Beteiligten sind geschiedene Ehegatten. Sie streiten über den Ausgleich von Steuernachteilen nach Durchführung des begrenzten steuerlichen Realsplittings. Die 1989 geschlossene Ehe der Beteiligten ist seit dem 16.11.2011 rechtskräftig geschieden. In einer der Scheidung vorausgegangenen Scheidungsfolgenvereinbarung vom 3.5.2011 hatte sich der Antragsgegner (Ehemann) zur Zahlung mtl. nachehelichen Elementarunterhalts (1.600 €), Altersvorsorgeunterhalts (500 €) und Krankheitsvorsorgeunterhalts verpflichtet. Die Antragstellerin (Ehefrau) zahlt die auf die Altersvorsorge entfallenden Unterhaltsbeträge seit Dezember 2011 in eine private Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht ein, welche ab dem 1.12.2024 eine mtl. Rente von rd. 300 € oder wahlweise eine Kapitalabfindung von rd. 82.500 € vorsieht.

Nach Abschluss der Scheidungsfolgenvereinbarung erteilte die Ehefrau dem Ehemann die Zustimmung zur Durchführung des begrenzten Realsplittings. Für die Folgejahre bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 2016 ersetzte der Ehemann der Ehefrau, die selbst nur über geringe Einkünfte unterhalb des einkommensteuerlichen Grundfreibetrags verfügt, jeweils auf entsprechende Aufforderung die gegen sie festgesetzten Einkommensteuerbeträge. Vorliegend begehrt die Ehefrau den Ausgleich des ihr für das Jahr 2017 entstandenen Steuernachteils von 466 €. Der Ehemann begehrt mit seinem Widerantrag die Rückzahlung des von ihm für das Jahr 2016 geleisteten Erstattungsbetrags von 572 €. Er beruft sich darauf, dass die Ehefrau durch eine steuerlich günstigere Anlage des gezahlten Altersvorsorgeunterhalts ihre Einkommensteuerpflicht vollständig habe vermeiden können.

Das AG gab dem Antrag statt und wies den Widerantrag ab. Das OLG wies die Beschwerde des Antragsgegners zurück. Dessen Rechtsbeschwerde hatte vor dem BGH ebenfalls keinen Erfolg.

AG und LG gaben der auf Räumung und Herausgabe gerichteten Klage statt. Die Revision des Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Nach der Rechtsprechung des Senats besteht eine Verpflichtung zur Zustimmung des unterhaltsberechtigten Ehegatten zum begrenzten Realsplitting grundsätzlich nur, wenn der Unterhaltsverpflichtete die finanziellen Nachteile ausgleicht, die dem Berechtigten aus der Zustimmung erwachsen.

Es besteht eine Verpflichtung zur Zustimmung des unterhaltsberechtigten Ehegatten zum begrenzten Realsplitting grundsätzlich nur, wenn der Unterhaltsverpflichtete die finanziellen Nachteile ausgleicht, die dem Berechtigten aus der Zustimmung erwachsen. Der Anspruch des Berechtigten auf Nachteilsausgleich ist ein Anspruch eigener Art, der weder von der Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten noch von der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen abhängt. Die auf das Realsplitting bezogenen Verpflichtungen beider Seiten sind Ausprägungen des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) im Rahmen des zwischen ihnen bestehenden gesetzlichen Unterhaltsrechtsverhältnisses. Der Unterhaltsberechtigte ist durch den Nachteilsausgleich so zu stellen, dass ihm der gezahlte Unterhalt ungeschmälert verbleibt. Daher sind vom Unterhaltspflichtigen grundsätzlich sämtliche Nachteile auszugleichen, die durch die Durchführung des Realsplittings verursacht worden sind.

Der Unterhaltsberechtigte ist allerdings nach Treu und Glauben gehalten, die durch das steuerliche Realsplitting entstehenden Nachteile möglichst gering zu halten. Eine Obliegenheit, die (Gesamt-)Einkommensteuerbelastung möglichst gering zu halten, trifft beide Beteiligte des Unterhaltsrechtsverhältnisses gleichermaßen. Sie dient dem Zweck, eine ungerechtfertigte Verminderung der Leistungsfähigkeit auf Seiten des Unterhaltspflichtigen wie auch eine ungerechtfertigte Erhöhung der Bedürftigkeit auf Seiten des Unterhaltsberechtigten zu vermeiden. Ausdruck dieses Grundsatzes sind insbesondere auch die Verpflichtungen zur Zustimmung zum steuerlichen Realsplitting durch den Unterhaltsberechtigten und zu dessen Geltendmachung durch den Unterhaltspflichtigen. Ähnlich verhält es sich bei der Verpflichtung der Ehegatten zur Mitwirkung an der Zusammenveranlagung während der Ehe.

Dementsprechend ist der Anspruch auf Nachteilsausgleich auf die Nachteile beschränkt, die dem Unterhaltsberechtigten bei Erfüllung der ihn treffenden Obliegenheiten entstehen. Ob es dem Unterhaltsberechtigten in diesem Rahmen obliegt, die sich aus dem Realsplitting ergebende Steuerschuld zu vermindern, indem er den ihm gewährten Altersvorsorgeunterhalt in Form einer zum Sonderausgabenabzug berechtigenden zertifizierten Rentenversicherung (hier sog. Rürup-Rente nach § 2 AltZertG) anlegt, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur unterschiedlich beurteilt. Eine Auffassung bejaht diese Frage. Dagegen vertreten andere mit dem OLG die Meinung, dass auch in Bezug auf das Realsplitting eine Wahlfreiheit des Unterhaltsberechtigten bestehe. Nach zutreffender Auffassung besteht grundsätzlich keine Obliegenheit des Unterhaltsberechtigten zum Abschluss einer zum Sonderausgabenabzug berechtigenden zertifizierten Rentenversicherung.

Dem Empfänger von Altersvorsorgeunterhalt obliegt es zwar, die erhaltenen Unterhaltsbeträge in einer für die spätere Erzielung von Alterseinkünften geeigneten Form anzulegen. Statt freiwillige Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen, kann er jedoch auch eine private Rentenversicherung abschließen. Dass diese - wie hier - ein Kapitalwahlrecht vorsieht, steht nicht entgegen. Aufgrund des Unterhaltsrechtsverhältnisses obliegt es zwar grundsätzlich beiden (geschiedenen) Ehegatten, ihre (Gesamt-)Einkommensteuerbelastung möglichst gering zu halten. Der Unterhaltsberechtigte ist aber, insbesondere im Rahmen des steuerlichen Realsplittings, nicht gehalten, den Altersvorsorgeunterhalt in einer zum Sonderausgabenabzug berechtigenden zertifizierten Rentenversicherung (hier: sog. Rürup-Rente) anzulegen.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.10.2021 16:10
Quelle: BGH online

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