BGH v. 25.4.2023 - X ZR 25/22

Zusatzzahlung für Beförderung ist nicht mit Annullierung eines Fluges vergleichbar

Der Tatbestand des Art. 4 Abs. 3 FluggastrechteVO ist nicht erfüllt, wenn der Fluggast auf dem vorgesehenen Flug befördert worden ist. Wenn das Luftfahrtunternehmen die Beförderung von einer zusätzlichen Zahlung abhängig macht, kann dies zwar ebenfalls zu Ärgernissen und großen Unannehmlichkeiten führen. Diese sind ihrer Art nach aber nicht mit den Ärgernissen und Unannehmlichkeiten im Falle einer Nichtbeförderung, Annullierung oder großen Verspätung vergleichbar.

Der Sachverhalt:
Der Zedent hatte eine Pauschalreise in die Türkei mit Flügen von München nach Antalya und zurück, die von der Beklagten ausgeführt werden sollten. Den Hinflug trat der Zedent nicht an, da er bereits zu einem früheren Zeitpunkt in die Türkei geflogen war. Als er den Rückflug antreten wollte, machte die Beklagte die Beförderung von der Zahlung eines tariflichen Aufpreises abhängig. Der Zedent bezahlte den geforderten Betrag und wurde wie vorgesehen befördert.

Die Klägerin nahm später die Beklagte aus abgetretenem Recht auf Leistung der Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung in Anspruch. Das AG hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung einer Ausgleichsleistung i.H.v. 400 € verurteilt. Das LG hat die Klage im Berufungsverfahren abgewiesen. Der BGH hat diese Entscheidung bestätigt.

Gründe:
Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf eine Ausgleichsleistung zu. Der Tatbestand des Art. 4 Abs. 3 FluggastrechteVO ist nicht erfüllt, wenn der Fluggast - wie hier - auf dem vorgesehenen Flug befördert worden ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ergibt sich dies nicht erst aus einer am Zweck der Verordnung orientierten Auslegung des Begriffs der Nichtbeförderung, sondern schon daraus, dass es in dieser Konstellation an einer Weigerung i.S.v. Art. 2 Buchst. j und Art. 4 Abs. 3 FluggastrechteVO fehlt.

Eine Weigerung i.S.v. Art. 2 Buchst. j und Art. 4 Abs. 3 FluggastrechteVO liegt nicht schon dann vor, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen erklärt, den Fluggast nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen auf dem vorgesehenen Flug zu befördern. Erforderlich ist vielmehr eine endgültige Weigerung mit der Folge, dass die vorgesehene Beförderung nicht stattfindet. Für dieses Verständnis spricht der Wortlaut von Art. 2 Buchst. j FluggastrechteVO. Dieser setzt schon im Ausgangspunkt eine Nichtbeförderung (denied boarding, refus d'embarquement) voraus.

Dieses Verständnis steht in Einklang mit den Erwägungsgründen 9 und 2 der Verordnung. Nach Erwägungsgrund 9 verfolgt die Verordnung das Ziel, denjenigen Fluggästen eine vollwertige Ausgleichszahlung zuzubilligen, die letztlich (finally, finalement) nicht befördert werden. Nach Erwägungsgrund 2 beruht die Verordnung auf dem Gedanken, dass eine Nichtbeförderung, eine Annullierung oder eine große Verspätung von Flügen für die Fluggäste ein Ärgernis sind und ihnen große Unannehmlichkeiten bereiten. Beides spricht dafür, einen zur Ausgleichsleistung verpflichtenden Tatbestand grundsätzlich nur dann zu bejahen, wenn eine Situation eingetreten ist, die typischerweise zu den genannten Ärgernissen und großen Unannehmlichkeiten (serious trouble and inconvenience, des difficultés et des désagréments sérieux) führt. Eine solche Situation liegt grundsätzlich vor, wenn ein Fluggast nicht auf dem vorgesehenen Flug befördert wird.

Wenn das Luftfahrtunternehmen die Beförderung von einer zusätzlichen Zahlung abhängig macht, kann dies zwar ebenfalls zu Ärgernissen und großen Unannehmlichkeiten führen. Diese sind ihrer Art nach aber nicht mit den Ärgernissen und Unannehmlichkeiten im Falle einer Nichtbeförderung, Annullierung oder großen Verspätung vergleichbar.

Mehr zum Thema:

Aufsatz:
Die Entwicklung des Reiserechts der Luftbeförderung einschließlich der EU-Fluggastrechte-VO im Jahr 2021
Charlotte Achilles-Pujol, MDR 2023, 65

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 23.05.2023 12:40
Quelle: BGH online

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