BGH v. 15.3.2023 - VIII ZR 99/22

Ersatzzustellung: Datumsvermerk des Zustellers ist zwingende Zustellungsvorschrift i.S.d. § 189 ZPO

Bei der Verpflichtung des Zustellers gem. § 180 Satz 3 ZPO, das Datum der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks zu vermerken, handelt es sich um eine zwingende Zustellungsvorschrift i.S.d. § 189 ZPO mit der Folge, dass das Schriftstück bei einer Verletzung dieser Vorschrift erst mit dem tatsächlichen Zugang als zugestellt gilt.

Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Erstattung von Stromkosten in Anspruch. Das AG verurteilte den Beklagten durch Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren antragsgemäß. Die Zustellung dieser Entscheidung an den Beklagten erfolgte am 7.10.2021 durch Einlegen in den zur Wohnung des Beklagten gehörenden Briefkasten. Die zur Gerichtsakte gelangte Zustellungsurkunde enthält die Bemerkung, dass der Tag der Zustellung durch den Zusteller auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks vermerkt wurde.

Mit am 22.10.2021, einem Freitag, beim AG eingegangenem anwaltlichen Schriftsatz legte der Beklagte Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein. Nachdem ihn das AG auf die Nichteinhaltung der zweiwöchigen Einspruchsfrist hingewiesen hatte, trug der Beklagte vor, den Brief mit dem Versäumnisurteil erst am 8.10.2021 aus dem Briefkasten entnommen zu haben. Auf dem Umschlag sei das Zustellungsdatum nicht vermerkt gewesen.

Das AG verwarf den Einspruch des Beklagten als unzulässig. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten wies das LG zurück. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Urteil des LG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Die der Verwerfung des Einspruchs wegen Versäumung der Einspruchsfrist zugrundeliegende Annahme des LG, die Frist habe (bereits) mit dem Einlegen des Versäumnisurteils in den Briefkasten des Beklagten am 7.10.2021 zu laufen begonnen, weshalb der (erst) am 22.10.2021 beim AG eingegangene Einspruch die zweiwöchige Einspruchsfrist nach § 339 Abs. 1 ZPO nicht mehr gewahrt habe, ist von Rechtsfehlern beeinflusst.

Gem. § 180 Satz 1 ZPO kann, wenn der Zustellungsadressat - wie hier - in seiner Wohnung oder dem Geschäftsraum nicht angetroffen wird und die Ersatzzustellung durch Übergabe in der Wohnung an einen erwachsenen Familienangehörigen, eine in der Familie beschäftigte Person oder einen erwachsenen ständigen Mitbewohner (§ 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) bzw. in dem Geschäftsraum an eine dort beschäftigte Person (§ 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) nicht ausführbar ist, das Schriftstück in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt (§ 180 Satz 2 ZPO). Gem. § 180 Satz 3 ZPO hat der Zusteller auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung zu vermerken.

Das LG hat rechtsfehlerhaft angenommen, das dem Beklagten am 7.10.2021 in den Briefkasten eingelegte Versäumnisurteil gelte gem. § 180 Satz 2 ZPO bereits mit der Einlegung als zugestellt ungeachtet dessen, ob - was der Beklagte unter Beweisantritt in Abrede stellt - auf dem Umschlag das Datum der Zustellung auch tatsächlich vermerkt war. Das LG hat hierbei der nach § 180 Satz 3 ZPO bestehenden Verpflichtung des Zustellers, das Datum der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks zu vermerken, nicht die zutreffende Bedeutung beigemessen. Bei der Anbringung des Vermerks handelt es sich um eine zwingende Voraussetzung der Ersatzzustellung nach § 180 ZPO, bei deren Nichtbeachtung der Lauf einer an die Zustellung geknüpften Frist gem. § 189 ZPO erst mit dem tatsächlichen Zugang des zuzustellenden Schriftstücks beginnt.

Allerdings bestehen hierzu unterschiedliche Auffassungen. Nach einer vor allem in der obergerichtlichen Rechtsprechung und in Teilen der Literatur vertretenen Ansicht soll die Anbringung des Vermerks nicht als zwingende Voraussetzung einer Zustellung nach § 180 ZPO anzusehen sein. Hingegen ordnen der BFH und Teile vor allem der verwaltungs- und finanzgerichtlichen Literatur die Verpflichtung des Zustellers zur Anbringung des Vermerks nach § 180 Satz 3 ZPO als zwingende Zustellungsvorschrift ein. Der BGH hat sich bislang - soweit ersichtlich - lediglich in zwei Entscheidungen mit der betreffenden Rechtsfrage befasst. Im Beschluss vom 14.1.2019, auf den sich das LG in seiner Entscheidung bezogen hat, hat der Senat für Anwaltssachen des Bundesgerichtshofs (noch) die erste Auffassung für richtig gehalten (AnwZ (Brfg) 59/17). Mit Beschluss vom 29.7.2022 - nach Erlass des Berufungsurteils - hat er sich indes der zweiten Auffassung angeschlossen und - nunmehr in Übereinstimmung mit dem BFH - entschieden, dass es sich bei § 180 Satz 3 ZPO um eine zwingende Zustellungsvorschrift handelt und das Schriftstück bei einem Verstoß gegen diese Vorschrift erst im Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs (§ 189 ZPO) als zugestellt gilt (AnwZ (Brfg) 28/20). Dem ist zuzustimmen.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | ZPO
§ 180 Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten
Schultzky in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022

Kommentierung | ZPO
§ 189 Heilung von Zustellungsmängeln
Schultzky in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022

Rechtsprechung:
Beschluss
BGH vom 29.07.2022 - ANWZ (BRFG) 28/20

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.05.2023 14:26
Quelle: BGH online

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