BGH v. 8.3.2023 - XII ZB 565/20

Analoge Anwendung von § 1593 Satz 3 BGB bei Vaterschaftsvermutung für zwei Ehemänner wegen Doppelehe der Mutter

Leidet die Ehe nach beiden durch Art. 13 Abs. 1 EGBGB berufenen Heimatrechtsordnungen der Verlobten unter dem Mangel der Doppelehe, bestimmt sich die Fehlerfolge grundsätzlich nach dem ärgeren Recht, d.h. nach dem Recht, welches die schärferen Rechtsfolgen an die Mangelhaftigkeit der Ehe knüpft. Ausnahmsweise kann im Einzelfall eine wertende Korrektur durch Heranziehung des milderen Rechts geboten sein, wenn die Anwendung der strengeren Fehlerfolge zu einem Ergebnis führt, welches keiner der beiden beteiligten Rechtsordnungen bei deren isolierter Betrachtung entspricht. Besteht infolge einer Doppelehe der Mutter nach § 1592 Nr. 1 BGB eine Vaterschaftsvermutung für zwei Ehemänner, ist § 1593 Satz 3 BGB analog anzuwenden, so dass die Vaterschaft dem Ehemann der späteren Ehe zugeordnet wird.

Der Sachverhalt:
Das Verfahren betrifft die Berichtigung der Geburtenregistereinträge für die beiden betroffenen Kinder in Bezug auf ihre väterliche Abstammung. Die Beteiligte zu 1 (Kindesmutter) ist die Mutter der betroffenen Kinder und besaß ursprünglich nur die iranische Staatsangehörigkeit. Im Februar 1996 heiratete sie in Iran den Beteiligten zu 2), der zu diesem Zeitpunkt ebenfalls ausschließlich iranischer Staatsangehöriger und in Deutschland als Asylberechtigter anerkannt war. Die Ehegatten lebten seit der Eheschließung in Deutschland und erwarben durch Einbürgerung im Jahr 2002 beide zusätzlich auch die deutsche Staatsangehörigkeit.

Die Ehe wurde im März 2006 in Iran durch eine vom Scheidungsnotariat registrierte Verstoßung (talaq) geschieden. Nachdem ein von dem Beteiligten zu 2) bei der Landesjustizverwaltung im März 2012 gestellter Antrag, die in Iran erfolgte Privatscheidung im Verfahren gem. § 107 FamFG für den deutschen Rechtsbereich anerkennen zu lassen, durch Entscheidung im gerichtlichen Verfahren im Dezember 2012 rechtskräftig abgelehnt worden war, wurde die Ehe zwischen der Kindesmutter und dem Beteiligten zu 2) im Juli 2014 durch ein deutsches Amtsgericht geschieden.

Bereits im Mai 2009 hatte die Kindesmutter in Iran in zweiter Ehe den Beteiligten zu 3), einen ausschließlich iranischen Staatsangehörigen, geheiratet. Anschließend gebar sie in den Jahren 2010 und 2013 die betroffenen Kinder, die seit ihrer Geburt in Deutschland leben. Als Vater der Kinder wurde der Beteiligte zu 3) in den deutschen Geburtenregistern eingetragen. Das Standesamt (Beteiligte zu 4) beantragte vorliegend, die Geburtseinträge für die betroffenen Kinder dahingehend zu berichtigen, dass anstelle des Beteiligten zu 3) jeweils der Beteiligte zu 2) als deren Vater eingetragen wird.

Das AG wies die Anträge, denen die Standesamtsaufsicht (Beteiligter zu 5) beigetreten ist, zurück. Die dagegen gerichteten Beschwerden des Standesamts und der Standesamtsaufsicht blieben vor dem OLG ebenso ohne Erfolg wie die vorliegende Rechtsbeschwerde der Standesamtsaufsicht.

Die Gründe:
Die Geburtenregister sind nicht unrichtig im Sinne des § 48 PStG, weil der dort als Vater eingetragene Beteiligte zu 3 als zweiter Ehemann der Kindesmutter der rechtliche Vater der betroffenen Kinder ist.

Im Ausgangspunkt zutreffend hat das OLG das für die Frage nach der rechtlichen Abstammung maßgebliche Sachrecht anhand der Kollisionsnormen des autonomen Rechts bestimmt, mithin nach Art. 19 Abs. 1 EGBGB. Einer Anwendung von Art. 19 EGBGB stehen das fortgeltende Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17.2.1929 und das Schlussprotokoll hierzu trotz der iranischen Staatsangehörigkeit aller beteiligten Personen hier nicht entgegen. Mehrstaater mit sowohl deutscher als auch iranischer Staatsangehörigkeit fallen nicht in den persönlichen Anwendungsbereich dieses deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens.

Ist unter deutschem Sachrecht als Abstammungsstatut bei der Anwendung von § 1592 Nr. 1 BGB die Frage zu klären, ob der Vaterschaftsprätendent zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet war, wird die Vorfrage nach der formellen und materiellen Wirksamkeit dieser Ehe grundsätzlich selbständig angeknüpft und richtet sich daher nach dem von Art. 11 EGBGB und Art. 13 EGBGB berufenen Sachrecht. Stellt sich in diesem Zusammenhang bei der Prüfung von Ehehindernissen die weitere Vorfrage nach dem Fortbestand der früheren Ehe eines der beiden Verlobten, wird diese grundsätzlich unselbständig angeknüpft, d.h. aus der Sicht der Rechtsordnung (einschließlich ihres Kollisionsrechts) beantwortet, deren Sachrecht über die materiellen Voraussetzungen für die wirksame Eingehung der neuen Ehe entscheidet.

Kommt es dabei auf die wirksame Auflösung der Vorehe eines Verlobten durch eine im Ausland durchgeführte Scheidung an, ist eine solche Scheidung nur dann beachtlich, wenn sie in Deutschland im Verfahren vor der Landesjustizverwaltung nach § 107 FamFG anerkannt worden ist; insoweit wird das kollisionsrechtliche Verweisungsergebnis vom verfahrensrechtlichen Anerkennungserfordernis überlagert. Leidet die Ehe nach beiden durch Art. 13 Abs. 1 EGBGB berufenen Heimatrechtsordnungen der Verlobten unter dem Mangel der Doppelehe, bestimmt sich die Fehlerfolge grundsätzlich nach dem ärgeren Recht, d.h. nach dem Recht, welches die schärferen Rechtsfolgen an die Mangelhaftigkeit der Ehe knüpft. Ausnahmsweise kann im Einzelfall eine wertende Korrektur durch Heranziehung des milderen Rechts, d.h. des Rechts, welches an den Mangel der Doppelehe die am wenigsten schädlichen Rechtsfolgen für die bigamische Ehe knüpft, geboten sein, wenn die Anwendung der strengeren Fehlerfolge zu einem Ergebnis führt, welches keiner der beiden beteiligten Rechtsordnungen bei deren isolierter Betrachtung entspricht.

Zutreffend ist das OLG auch davon ausgegangen, dass die Vorehe der Kindesmutter mit dem Beteiligten zu 2) nicht zu dessen rechtlicher Vaterschaft führt. Zwar galt diese Ehe zum Zeitpunkt der Geburt der betroffenen Kinder als fortbestehend, weil die in Iran durchgeführte Privatscheidung der Ehe in Deutschland nicht nach § 107 FamFG anerkannt worden ist. Die Vorehe führt somit nach § 1592 Nr. 1 BGB ebenfalls zu einer Vaterschaftsvermutung, worauf die in Deutschland nach der Geburt der Kinder durchgeführte Scheidung dieser Ehe keinen Einfluss hat. Mithin führt die bigamische Ehe der Kindesmutter im vorliegenden Fall zu einer doppelten Vaterschaftsvermutung für die Beteiligten zu 2) und 3). Das OLG hat indessen richtig erkannt, dass diese doppelte Vaterschaftsvermutung in analoger Anwendung von § 1593 Satz 3 BGB aufzulösen ist, indem als Vater der beteiligten Kinder lediglich der Beteiligte zu 3) als Ehemann der späteren Ehe angesehen wird.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | BGB
§ 1592 Vaterschaft
Hammermann in Erman, BGB, 16./17. Aufl. 2020/2023

Kommentierung | BGB
§ 1593 Vaterschaft bei Auflösung der Ehe durch Tod
Hammermann in Erman, BGB, 16./17. Aufl. 2020/2023

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.05.2023 10:59
Quelle: BGH online

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