BGH v. 23.3.2023 - V ZR 113/22

Zur Abgrenzung von Wohnnutzungsrecht und Wohnungsrecht

Ist ein auf Lebzeiten eingeräumtes Recht, ein Gebäude oder ein Teil eines Gebäudes als Wohnung zu benutzen, im Grundbuch und in der in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung als "Wohnungsrecht" bezeichnet, handelt es sich im Zweifel nicht um ein Wohnnutzungsrecht, sondern um ein Wohnungsrecht i.S.d. § 1093 BGB. Der Eigentümer, der die von dem Wohnungsrecht erfassten Räume anstelle des dort nicht wohnenden Berechtigten als Wohnung benutzt, wird durch den damit verbundenen Gebrauchsvorteil nicht auf Kosten des Wohnungsberechtigten bereichert.

Der Sachverhalt:
Die Parteien sind Geschwister. Im Mai 1976 übertrug ihre 2003 verstorbene Mutter (Erblasserin) mit notariellem Vertrag ein mit einem Wohnungsrohbau bebautes Grundstück auf den Beklagten. In dem Übertragungsvertrag wurde Folgendes vereinbart:

"Im Hinblick auf vorstehende Übertragung verpflichtet sich der Erschienene zu zwei [der Beklagte] zu folgenden Leistungen:

Er räumt der Erschienenen zu eins [Erblasserin] und deren Tochter [Klägerin] als Gesamtberechtigten in dem übertragenen Wohngebäude ein Wohnungsrecht ein. Das Recht bezieht sich auf die ausschließliche Nutzung der Wohnung des Untergeschosses.

Hinsichtlich der Berechtigten (…) [Klägerin] erlischt das Recht bei deren Heirat. Falls es durch die Heirat von (…) [Klägerin] oder durch den Tod einer Berechtigten für eine Berechtigte erlischt, steht es der Letztberechtigten in vollem Umfang zu.

Der Erschienene zu zwei ist verpflichtet, die Wohnung, auf die sich das Wohnungsrecht bezieht, auf seine Kosten einzugsbereit fertigzustellen."

Das Wohnungsrecht wurde in das Grundbuch eingetragen. Der Beklagte stellte den Rohbau fertig und zog mit seiner Familie in die Hauptwohnung ein. Weder die bis heute unverheiratete Klägerin noch die Erblasserin nutzten in der Folgezeit die Wohnung im Untergeschoss. Beide lebten im früheren Elternhaus der Parteien. Der Beklagte vermietete die Untergeschosswohnung ab den 1989er Jahren. 1999 übereignete die Erblasserin der Klägerin ein Nachbargrundstück mit einem bezugsfertigen Haus. Nach dem Tod der Erblasserin verblieb die Klägerin im elterlichen Haus. 2011 bezog der Beklagte die Untergeschosswohnung selbst, was der Klägerin bekannt war.

Mit Schreiben vom 25.9.2018 widersprach die Klägerin der Nutzung der Wohnung durch den Beklagten und forderte ihn zur Räumung auf. Alternativ bot sie ihm an, die Wohnung gegen Zahlung einer monatlichen Nutzungsentschädigung zu nutzen. Auf die Anfang 2019 erhobene Klage wurde der Beklagte im Januar 2020 rechtskräftig zur Räumung und Herausgabe der Wohnung verurteilt. Er zog Mitte Mai 2020 aus der Wohnung aus; diese steht seitdem leer. Die Klägerin verlangt nun von dem Beklagten Nutzungsersatz für die Zeit vom 1.1.2017 bis 30.4.2020 i.H.v. 26.000 € nebst Zinsen und die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Das LG gab der Klage hinsichtlich des Nutzungsersatzes für den Zeitraum vom 1.11.2018 bis 30.4.2020 i.H.v. 9.000 € nebst Zinsen und hinsichtlich der Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten statt. Das OLG wies die Klage ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung, der sich mangels einer vertraglichen Beziehung zwischen den Parteien nur aus dem Gesetz ergeben könnte, besteht nicht.

Ist ein auf Lebzeiten eingeräumtes Recht, ein Gebäude oder ein Teil eines Gebäudes als Wohnung zu benutzen, im Grundbuch und in der in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung als "Wohnungsrecht" bezeichnet, handelt es sich im Zweifel nicht um ein Wohnnutzungsrecht, sondern um ein Wohnungsrecht i.S.d. § 1093 BGB. Ein Wohnnutzungsrecht gem. 1090 BGB ist nur dann anzunehmen, wenn sich aus der in der Grundbucheintragung in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Eigentümer zur Mitbenutzung berechtigt sein soll. Solche Anhaltspunkte für eine vom Regelfall abweichende Bestellung eines Wohnnutzungsrechts statt eines Wohnungsrechts lassen sich weder der Eintragungsbewilligung von Mai 1976 noch dem Grundbucheintrag entnehmen. Dass die Klägerin das Wohnungsrecht bislang zu keinem Zeitpunkt ausgeübt hat, führt nicht zu dessen Erlöschen. Das Wohnungsrecht der Klägerin endete auch nicht mit dem Tod der Erblasserin.

Der Beklagte hat die Gebrauchsvorteile, die aus dem rechtsgrundlosen Besitz der von dem Wohnungsrecht erfassten Untergeschosswohnung folgen, jedoch nicht auf Kosten der Klägerin erlangt. Der Bereicherungsschuldner erlangt nur dann i.S.v. § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB etwas auf Kosten des Bereicherungsgläubigers, wenn er in eine Rechtsposition eingegriffen hat, die nach der Rechtsordnung dem Gläubiger zu dessen ausschließlicher Verfügung und Verwertung zugewiesen ist. Insoweit ist es nicht entscheidend, ob der Bereicherungsschuldner bei redlichem Vorgehen etwas für die erlangte Position hätte zahlen müssen. Vielmehr kommt es darauf an, ob der Bereicherungsgläubiger nur die Unterlassung der unerlaubten Nutzung des Rechtsguts verlangen kann oder ob er darüber hinaus selbst berechtigt wäre, die Nutzungen zu ziehen. Das Wohnungsrecht berechtigt gem. § 1093 Abs. 1 Satz 1 BGB nur zu einer eingeschränkten, nämlich der persönlichen Nutzung der umfassten Räume durch den Wohnungsberechtigten unter Ausschluss des Eigentümers. Es umfasst nicht das Recht zu einer alleinigen Überlassung der Räume an Dritte. Darin unterscheidet es sich von einem Nießbrauch, der ein umfassendes Nutzungsrecht gewährt.

Der Eigentümer, der die von dem Wohnungsrecht erfassten Räume anstelle des dort nicht wohnenden Berechtigten als Wohnung benutzt, wird durch den damit verbundenen Gebrauchsvorteil nicht auf Kosten des Wohnungsberechtigten bereichert. Der Eigentümer erlangt dann zwar, anders als bei der Vermietung an einen Dritten, nicht nur den mittelbaren, sondern den unmittelbaren Besitz. Er zieht selbst die Gebrauchsvorteile. Damit tut er das, was nach dem Inhalt des Wohnungsrechts (§ 1093 Abs. 1 BGB) das ausschließliche Recht des Wohnungsberechtigten ist. Dieser könnte die Unterlassung der unerlaubten Nutzung durch den Eigentümer verlangen (§ 1004, § 1090 Abs. 2 i.V.m. § 1027 BGB). Der Vorteil, den der Eigentümer aus der Wohnnutzung zieht, ist aber nicht dem Wohnungsberechtigten zugewiesen; diesem steht nur der Vorteil des eigenen Gebrauchs der Wohnung zu. Der Wohnungsberechtigte hat keinen Anspruch darauf, die Vorteile abzuschöpfen, die der Eigentümer durch eine Vermietung oder - wie hier - durch eine unentgeltliche Eigennutzung zieht.

Rechtsfehlerfrei verneint das OLG auch einen Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Nutzungsersatz aus § 1093 Abs. 1 Satz 2, § 1065, § 990 Abs. 1, § 987 Abs. 1, § 989 BGB. Unmittelbar anwendbar sind die Vorschriften des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses nicht. Gem. § 1093 Abs. 1 Satz 2 BGB finden auf das Wohnungsrecht nur bestimmte Vorschriften über den Nießbrauch entsprechende Anwendung. Die Norm des § 1065 BGB, die auf die für die Ansprüche aus dem Eigentum geltenden Vorschriften verweist, zählt dazu nicht. Der Wohnungsberechtigte kann von dem Eigentümer auch nicht über eine analoge Anwendung von § 1065 BGB Nutzungsersatz nach den §§ 987 ff. BGB verlangen.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | BGB
§ 1093 Wohnungsrecht
Grziwotz in Erman, BGB, 16./17. Aufl. 2020/2023

Kommentierung | BGB
§ 1065 Beeinträchtigung des Nießbrauchsrechts
Bayer in Erman, BGB, 16./17. Aufl. 2020/2023

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 10.05.2023 16:15
Quelle: BGH online

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