OLG München v. 2.1.2023 - 19 U 3350/22

Sog. Expert Advisors: Streit um Auszahlung mittels Online-Finanzgeschäften erzielter Gewinne

Ein Online-Broker hat die Möglichkeit, einer AGB-Klausel den Überraschungseffekt durch individuellen Hinweis auf die ungewöhnliche Gestaltung zu nehmen. Dadurch kann der durch den Internetauftritt der Bank erzeugte, gegenteilige Anschein (hier: im Hinblick auf Anwendung eines sog. Expert Advisors) individuell gegenüber dem erfahrenen Spekulanten beseitigt werden.

Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist eine 2016 gegründete deutsche Privatbank in der Rechtsform einer GmbH. Im Kern fungiert sie als Online-Broker bezüglich des Handels mit Devisen und Finanzderivaten. Der Kläger ist ein erfahrener Spekulant. Am 27.12.2020 hatte er bei der Beklagten die Einrichtung eines Online-Handelskontos beantragt. Am 28.12.2020 zahlte er jeweils 45.000 € und 5.000 € auf dieses Konto ein. Später eröffnete der Kläger zudem Unterkonten. Er beabsichtigte, in der Folge davon mit dem Abschluss sog. Contracts for Difference (CFD) Spekulationsgewinne zu erwirtschaften.

CFD sind ursprünglich aus dem Investmentbanking stammende, derivative Finanzinstrumente, die originär dazu dienen, schwankende Preise etwa für Aktien oder Rohstoffe abzusichern. Sie können aber auch spekulativ eingesetzt werden. Dafür wird zwischen dem Verkäufer und dem Käufer ein Preis (sog. Strike Price) für ein bestimmtes Produkt zu einem bestimmten Zeitpunkt vereinbart. Liegt zu diesem Zeitpunkt der Strike Price unter dem momentanen Marktpreis, muss der Käufer die Differenz zwischen vereinbartem Preis und Marktpreis an den Verkäufer bezahlen. Liegt der Marktpreis über dem Strike Price, verhält es sich genau anders herum: Der Verkäufer muss die Differenz an den Käufer bezahlen.

Die Beklagte tritt beim Handel mit CFD auch als sog. Market Maker auf, d.h. sie steht ihren Kunden als Anbieter von CFD und Kontrahent zur Verfügung. Dann wetten die Kunden hinsichtlich der Preisentwicklung gegen die Beklagte und umgekehrt. Dies bedeutet im Ergebnis, dass die Gewinn- und Verlustentwicklungen der Kunden und der Beklagten stets entgegengesetzt laufen. Die CFD-Geschäfte mit der Beklagten werden über die elektronische Handelsplattform „Meta Trader 4“ (MT4) abgewickelt, die kostenlos im Internet zur Verfügung steht und auch über die Website der Beklagten heruntergeladen werden kann.

Sog. Expert Advisors (EAs) - auch als automatisierte Trading-Roboter bezeichnet - sind Computerprogramme, die einen automatisierten oder algorithmischen Handel von Wertpapieren über eine elektronische Handelsplattform ermöglichen. EAs tätigen - nach vorheriger Programmierung durch den Nutzer - selbsttätig eine Analyse des Marktes, sorgen für eine automatische Berechnung einer Handelsstrategie und geben den Nutzern Empfehlungen oder treffen sogar selbständig in Sekundenschnelle Kauf- und Verkaufsentscheidungen. Es gibt eine große Anzahl verschiedener EAs für den MT4, die teils kostenpflichtig, teils kostenlos angeboten werden.

Am 3.2.2021 meldete sich die Beklagte beim Kläger. Sie habe aufgrund ungewöhnlicher Handelsaktivitäten Überprüfungen vornehmen müssen. Der Kläger habe Transaktionen in der Weise durchgeführt, dass er Abweichungen zwischen der Quotierung der Beklagten und den Referenzkursen unter Ausschluss des Marktpreisänderungsrisikos insbesondere durch Nutzung eigener, auch nicht an die Handelsplattform angeschlossener Computerprogramme und Referenzmarkt-Datenbezugsquellen ausgenutzt habe. Dies sei ein Verstoß gegen die AGB der Beklagten. Daher sei sein Konto auf einen sog. „Close Only“-Status gesetzt worden. Die Eröffnung neuer Positionen sei bis auf Weiteres nicht möglich.

Der Kläger verlangte daraufhin von der Beklagten die Auszahlung seines Gesamtgewinns von 39.584 €. Die Beklagte kündigte die vom Kläger bei ihr geführten Konten außerordentlich und mit sofortiger Wirkung. Zudem wurde dem Kläger mitgeteilt, dass eine kostenfreie Rückabwicklung der von ihm getätigten Geschäfte erfolge und ihm seine Einzahlungen wiedererstattet würden. Am 16.2.2021 erhielt der Kläger die 50.000 € zurück. Er forderte weiterhin die Zahlung von 39.584 €, was die Beklagte verweigerte.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat die Entscheidung im Berufungsverfahren bestätigt. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Auszahlung der erzielten Gewinne nach §§ 667, 675 BGB. Ungeachtet der Frage der Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung durfte die Beklagte die streitgegenständlichen CFD-Geschäfte zumindest gem. Ziffer 3.6 letzter Absatz ihrer AGB rückabwickeln, weil der Kläger bei deren Durchführung unerlaubt einen EA eingesetzt hatte.

Die AGB der Beklagten waren nach § 305 Abs. 2 BGB Bestandteil der als Zahlungsdiensterahmenvertrag i.S.v. § 675f Abs. 2 BGB einzustufenden (Grund-)Vereinbarung der Parteien über die Eröffnung und Führung eines Online-Handelskontos des Klägers zum Zwecke des darüber abzuwickelnden CFD-Handels geworden. Erfolgt der Vertragsschluss - wie hier - über eine Plattform des Verwenders, so reicht es aus, wenn auf der Internetseite oder dem Online-Antragsformular in gut lesbarer Form ein ausdrücklicher Hinweis nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 BGB auf die AGB erscheint. Für die Möglichkeit der Kenntnisnahme nach § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB reicht es aus, falls die AGB über einen gut sichtbaren und deutlich gestalteten Hyperlink aufgerufen und gegebenenfalls ausgedruckt werden können. Der Anbieter kann sich die Kenntnisnahme des Hinweises auf die AGB durch den Kunden und dessen Einverständnis damit mit einem Mausklick oder durch Setzen eines Hakens oder Kreuzes auf einer Schaltfläche bestätigen lassen. Dies war hier erfolgt.

Im Gegensatz zum LG stufte der Senat aber die Ziffern 3.6.3 und 3.6.4. der AGB der Beklagten grundsätzlich als überraschende Klauseln i.S.v. § 305c Abs. 1 BGB ein. Gleichwohl blieb der klägerische Anspruch ausgeschlossen, weil die Beklagte konkret im vorliegenden Fall den Überraschungseffekt der o.g. AGB-Bestimmungen durch einen entsprechenden Hinweis an den Kläger bereits über drei Monate vor Kontoeröffnung und Beginn der Aufnahme des CFD-Handels beseitigt hatte. Danach musste der Kläger sogar davon ausgehen, dass die Verwendung von EAs ausnahmslos ausgeschlossen war. Der Verwender hat die Möglichkeit, einer AGB-Klausel den Überraschungseffekt durch individuellen Hinweis auf die ungewöhnliche Gestaltung zu nehmen. Nach den Feststellungen des LG war der Kläger auf seine konkrete Frage hin, ob der Einsatz von EAs erlaubt sei, mehr als drei Monate vor der Kontoeröffnung darauf hingewiesen worden, dass die Beklagte das nicht anbietet. Damit wurde der durch den Internetauftritt der Beklagten erzeugte, gegenteilige Anschein im vorliegenden Einzelfall individuell gegenüber dem Kläger beseitigt.

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Aufsatz:
Zwischenruf zum AGB-Änderungsmechanismus der Banken
Hans-Gert Vogel, ZIP 2022, 682

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 11.01.2023 15:33
Quelle: Bayern.Recht

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