BGH v. 29.9.2022 - I ZR 180/21

Erfüllungseinwand: Vollstreckungsabwehrklage während Anhängigkeit eines Zwangsmittelverfahrens

Die Anhängigkeit eines Zwangsmittelverfahrens nach § 888 ZPO, in dem der Schuldner den Erfüllungseinwand mit Blick auf den gegen ihn titulierten Anspruch erheben kann und erhoben hat, hindert den Schuldner nicht an der Erhebung einer Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) gegen den Gläubiger, die ebenfalls auf die Erhebung des Erfüllungseinwands zielt.

Der Sachverhalt:
Die Parteien sind Geschwister. Der Kläger ist Alleinerbe des verstorbenen Vaters der Parteien. Die Beklagten erwirkten gegen den Kläger vor dem LG im Rahmen einer Pflichtteilsstufenklage ein rechtskräftiges Teilurteil vom 24.2.2017 auf Auskunftserteilung durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses. Die Beklagten stellten am 5.3.2018 beim LG unter dem Aktenzeichen der Pflichtteilsstufenklage einen Antrag auf Festsetzung von Zwangsmitteln zur Vollstreckung der Auskunftsverpflichtung des Klägers. Der Kläger legte in diesem Verfahren ein notarielles Nachlassverzeichnis vom 13.5.2019 vor. Er ist der Ansicht, damit habe er die gegen ihn titulierte Auskunftsverpflichtung vollständig erfüllt. Die Beklagten meinen, das notarielle Nachlassverzeichnis sei lückenhaft, und haben ihren Zwangsmittelantrag aufrechterhalten. Das LG hat über den Zwangsmittelantrag bislang noch nicht entschieden.

Der Kläger erhob am 13.9.2019 die hier gegenständliche Vollstreckungsabwehrklage, mit der er begehrt, die Zwangsvollstreckung aus dem genannten Teilurteil für unzulässig zu erklären. Der Rechtsstreit wurde einer anderen Kammer des LG zugeteilt. Die Beklagten gaben im Rechtsstreit folgende schriftsätzliche Erklärung ab: "Für den Fall, dass im Ausgangsverfahren umgekehrten Rubrums, Az. des LG, der Antrag der dortigen Kläger auf Festsetzung von Zwangsmitteln nach § 888 ZPO insgesamt rechtskräftig - ggf. nach Ausschöpfung zur Verfügung stehender Rechtsmittel - mit der Begründung zurückgewiesen werden sollte, dass die mit Urteil des LG vom 24.2.2017 titulierte Auskunftsverpflichtung vollständig erfüllt sei, verpflichten sich die hiesigen Beklagten und dortigen Kläger, diese Entscheidung anzuerkennen. Sie werden in diesem Fall insbesondere keine Zwangsvollstreckungsversuche aus besagtem Urteil mehr unternehmen und die entwertete Urteilsausfertigung an den hiesigen Kläger und dortigen Beklagten herausgeben."

Das LG wies die Klage ab. Im Berufungsrechtszug ergänzte der Kläger sein notarielles Nachlassverzeichnis. Das OLG wies die Berufung des Klägers zurück. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Das OLG hat die Vollstreckungsabwehrklage des Klägers zu Unrecht mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abgewiesen.

Das OLG hat einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt, indem es darauf abgestellt hat, ob eine Zwangsvollstreckung gegen den Kläger ernstlich droht oder eine konkrete Vollstreckungsmaßnahme gegen ihn bevorsteht. Hierauf kommt es nicht an, da der Titel der Beklagten nicht auf eine wiederkehrende Leistung, sondern auf eine im Grundsatz einmalige Auskunftserteilung gerichtet ist. Danach besteht im Ausgangspunkt ein Rechtsschutzbedürfnis für die Vollstreckungsabwehrklage des Klägers, solange die Beklagten den Titel in den Händen haben. Unabhängig davon trägt die Begründung des OLG die Annahme nicht, dass dem Kläger derzeit ernstlich keine weitere Zwangsvollstreckung drohe oder keine konkrete Vollstreckungsmaßnahme bevorstehe. Die Beklagten haben gegen ihn ein Zwangsmittelverfahren eingeleitet. Soweit das OLG ausgeführt hat, das Vollstreckungsverfahren werde seit Jahren nicht weiterbetrieben und offensichtlich auch von den Beklagten nicht offensiv vorangetrieben, hat es nicht konkret festgestellt, aus welchen Gründen das Verfahren ins Stocken geraten ist. Die Beklagten haben es bislang jedenfalls nicht förmlich beendet.

Entgegen der Auffassung des OLG entfällt das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für seine Vollstreckungsabwehrklage auch nicht deshalb, weil er den Erfüllungseinwand im von den Beklagten gegen ihn eingeleiteten Zwangsmittelverfahren erheben kann und erhoben hat. Die Geltendmachung des Erfüllungseinwands im Zwangsmittelverfahren nach § 888 ZPO stellt gegenüber der Erhebung einer Vollstreckungsabwehrklage keine gleichwertige Rechtschutzmöglichkeit dar. Eine Klage ist auch dann mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, wenn dem Kläger ein einfacherer und billigerer Weg zur Erreichung seines Rechtsschutzziels zur Verfügung steht. Auf einen verfahrensmäßig unsicheren Weg darf er allerdings nicht verwiesen werden. Nach der vom OLG zutreffend wiedergegebenen BGH-Rechtsprechung ist der Schuldner nicht nur im Verfahren der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO, sondern auch in den Zwangsvollstreckungsverfahren nach §§ 887, 888 ZPO mit seinem Einwand zu hören, der vollstreckbare Anspruch sei erfüllt. Ob ein anhängiges Zwangsmittelverfahren die Erhebung einer Vollstreckungsabwehrklage mit dem Ziel der Geltendmachung des Erfüllungseinwands sperrt, ist demgegenüber bislang nicht höchstrichterlich entschieden. Dies ist nicht der Fall.

Gegen eine solche Sperrwirkung spricht bereits, dass die Frage, ob die Titelforderung erfüllt ist oder nicht, im Zwangsmittelverfahren nicht in materielle Rechtskraft erwächst und der Vollstreckungsabwehrklage ein anderer Streitgegenstand zugrunde liegt als dem Zwangsmittelverfahren. Auch in praktischer Hinsicht ist die Rechtsverteidigung im Zwangsmittelverfahren gegenüber der Rechtsverfolgung im Wege der Vollstreckungsabwehrklage für den Schuldner nicht gleichwertig. Das Zwangsmittelverfahren wird nach § 888 Abs. 1 ZPO auf Antrag des Gläubigers eingeleitet. Dieser kann den Antrag während des Verfahrens jederzeit zurücknehmen. Bereits deswegen ist es für den Schuldner, der den Erfüllungseinwand im Zwangsmittelverfahren erhebt, nicht gesichert, dass das Gericht über diesen entscheidet. Auch unabhängig von der Möglichkeit einer Antragsrücknahme kommt in Betracht, dass das Gericht den Zwangsmittelantrag zurückweist und der Gläubiger diesen nach Behebung des Mangels erneut stellt. Erst die rechtskräftige Zurückweisung des Zwangsmittelantrags wegen Erfüllung der titulierten Verpflichtung steht im Grundsatz der erneuten Erhebung eines Zwangsmittelantrags entgegen. Demgegenüber kann der Schuldner mit der Erhebung einer Vollstreckungsabwehrklage aktiv das Ziel verfolgen, laufenden oder zukünftigen Zwangsmittelverfahren den Boden zu entziehen (§ 775 Nr. 1, § 776 ZPO).

Mehr zum Thema:

Kommentierung | ZPO
§ 767 Vollstreckungsabwehrklage
Herget in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022

Kommentierung | ZPO
§ 888 Nicht vertretbare Handlungen
Seibel in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.11.2022 13:17
Quelle: BGH online

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