OLG Frankfurt a.M. v. 8.9.2022 - 17 W 17/22

Verkehrssicherungspflicht auf eigenem Grundstück

Es ist grundsätzlich nicht die Aufgabe des Grundstückseigentümers, einen untergeordneten Zuweg zu der Terrasse ihres Wohnhauses völlig gefahrlos gegen alle erdenklichen von dem Weg ausgehenden Risiken für die Nutzer auszugestalten. Kann der Nutzer dieses Zuwegs bei zweckgerichteter Benutzung unter Anwendung der gebotenen Sorgfalt etwaige Sturzgefahren abwenden, bestehen für den Grundstückseigentümer keine weitergehenden Pflichten.

Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin beabsichtigt, mit der Klage materiellen und immateriellen Schadensersatz gegen die Antragsgegnerin geltend zu machen. Das LG versagte der Antragstellerin mit der angefochtenen Entscheidung die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, weil die Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg biete. Hiergegen wendet sich das Rechtsmittel.

Die Antragstellerin hat behauptet, sie sei am 5.2.2021, gegen 18 Uhr, nach dem Verlassen der Wohnung der Antragsgegnerin auf dem Steinweg, der parallel zu der angrenzenden und von der Antragstellerin gemieteten Garage entlang des Hauses der Antragsgegnerin verläuft und der über eine offene Tür von der Garage aus erreichbar ist, auf der mit Bodenfliesen versehenen Fläche des nassen Weges bei Dunkelheit und ohne dass der Weg beleuchtet worden wäre, gestürzt und habe sich dabei eine Scham-, Sitz- und Kreuzbeinfraktur zugezogen, die operativ habe versorgt werden müssen, was zu erheblichen körperlichen Beeinträchtigungen geführt habe, so dass ein Schmerzensgeld von mindestens 20.000 € gerechtfertigt sei. Darüber hinaus seien ihr Verdienstausfall, ein Haushaltsführungsschaden und weitere materielle Aufwendungen entstanden.

Sie habe sich 5.2.2021 auf Bitten der Pflegekraft der Antragsgegnerin bereits bei Dunkelheit aus der Garage über den Steinweg und über die Terrasse in deren Wohnung begeben, weil die Antragsgegnerin mit ihr habe reden wollen. Der Weg werde von Pflegekräften und Angehörigen der Antragsgegnerin benutzt, sie habe ihn zwar gekannt, diesen aber zuvor noch nicht genutzt. Die Straßenlaterne habe den Steinweg nicht ausgeleuchtet. Der von ihr benutzte Weg sei mit Blättern, Ästen und Moos bedeckt und regennass und schmierig gewesen. Diesen Weg habe sie nach Verlassen der Wohnung der Antragstellerin dann erneut genutzt. Dabei sei es beim Belaufen des gefliesten Teils des Wegs zu dem Sturz gekommen. Die Antragstellerin hat gemeint, aus diesen Umständen eine Verkehrssicherungspflicht der Antragsgegnerin ableiten zu können, wonach diese verpflichtet gewesen sei, den Weg so zu unterhalten, dass er ohne Sturzgefahr habe genutzt werden können.

Das LG versagte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, weil die Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg biete. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hatte vor dem OLG keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das LG hat zu Recht eine Verkehrssicherungspflicht und damit einen Schadensersatzanspruch der Antragsgegnerin gem. §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 253, 249 BGB; 229 StGB, den auf ihrem Grundstück verlaufenden Gehweg, auf dem die Antragstellerin behauptet, gestürzt zu sein, vor Sturzgefahren abzusichern, verneint.

Grundsätzlich trifft die Antragsgegnerin eine Verkehrssicherungspflicht in Bezug auf ihr Grundstück und das in ihrem Eigentum stehende Gebäude. Sie muss auch damit rechnen, dass Fußgänger diesen Weg benutzen. Nach ständiger BGH-Rechtsprechung ist derjenige, der eine Gefahrenlage - gleich welcher Art - schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren.

Zu berücksichtigen ist jedoch, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr daher erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn letztlich derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält.

Danach handelt es sich hier nicht bereits um eine der Abhilfe bedürftige Gefahrenstelle, die zu beseitigen die Antragstellerin etwa verpflichtet wäre. Es ist nicht Aufgabe der Antragsgegnerin, den Zuweg zu der Terrasse ihres Wohnhauses völlig gefahrlos gegen alle erdenklichen von dem Weg ausgehenden Risiken für die Nutzer auszugestalten. Die Antragstellerin muss vielmehr in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise nur diejenigen Gefahren beseitigen, die für den Nutzer, der selber die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht erkennbar sind, mit denen dieser nicht rechnen muss und auf die er sich nicht einzurichten vermag. Der Nutzer dieses Zuwegs hat grundsätzlich dessen Zustand so hinzunehmen, in dem er sich erkennbar befindet, und sich den gegebenen Verhältnissen anzupassen. Ist der Nutzer des Zuwegs bei zweckgerichteter Benutzung unter Anwendung der gebotenen Sorgfalt befähigt, selber etwaige Schäden abzuwenden, bestehen für die Antragsgegnerin keine weitergehenden Pflichten. Es ist vielmehr von dem Nutzer in unübersichtlichen Situationen eine erhöhte Aufmerksamkeit zu verlangen.

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Aufsatz
Neuere Entwicklungen im Amts-, Staatshaftungs- und Entschädigungsrecht
Peter Itzel, MDR 2022, 279

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.09.2022 16:47
Quelle: LaReDa Hessen

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