Aktuell in der MDR

Fitnessstudioverträge während der COVID‑19-Pandemie (Longrée/Podann, MDR 2022, 798)

Zu Beginn des Jahres 2020 mussten deutschlandweit Fitnessstudios zur Eindämmung der COVID‑19-Pandemie für mehrere Monate vollständig schließen. Seitdem sind die Auswirkungen dieser behördlich angeordneten Schließungen auf die gegenseitigen Leistungspflichten aus dem Fitnessstudiovertrag kontrovers diskutiert und von der Rechtsprechung behandelt worden. Nunmehr hat der BGH in einem aktuellen Urteil (BGH v. 4.5.2022 – XII ZR 64/21, MDR 2022, 752) Stellung bezogen. Der folgende Beitrag geht auf die einzelnen Rechte der Vertragsparteien ein und behandelt darüber hinausgehende praxisrelevante Fragen.


I. Einleitung

II. Die Entscheidung des BGH

1. Kunde: Anspruch auf Rückzahlung des Nutzungsentgelts

a) Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB

b) Keine vorübergehende Unmöglichkeit

c) Keine ergänzende Vertragsauslegung

2. Betreiber: Kein Anspruch auf Anpassung des Vertrages

a) Subsidiarität gegenüber § 275 Abs. 1 BGB

b) Vorrang von Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB

c) Nichtvorliegen der Voraussetzungen von § 313 Abs. 1 BGB

III. Kunde: Recht zur außerordentlichen Kündigung

IV. Besondere Zutrittsbeschränkungen

V. Fazit


I. Einleitung

Auf den ersten Blick scheint das aktuelle Urteil des BGH keine rechtlichen Besonderheiten aufzuweisen. Der BGH schließt sich mit zum Teil identischen Argumenten den beiden vorherigen Instanzen1 an und bejaht für den Schließungszeitraum einen Rückzahlungsanspruch des Kunden gegenüber dem Fitnessstudiobetreiber gem. §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4, 346 Abs. 1 BGB.

Neben der Relevanz für tausende Mitglieder macht allerdings auch der Umstand die Entscheidung erwähnenswert, dass zahlreiche Instanzgerichte in den vergangenen beiden Jahren in vergleichbaren Konstellationen anders entschieden haben. Oftmals wurde dabei eine Vertragsanpassung über die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage bejaht (häufig ohne überhaupt auf die Unmöglichkeit der Leistungserbringung einzugehen).

Dem erteilt der BGH nun richtigerweise eine eindeutige Absage. Angesichts der divergierenden Entscheidungen zu Fitnessstudioverträgen während der COVID‑19-Pandemie war die jetzige höchstrichterliche Klärung im Sinne von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden nicht nur wünschenswert, sondern dringend geboten.

II. Die Entscheidung des BGH

1. Kunde: Anspruch auf Rückzahlung des Nutzungsentgelts

a) Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB


Gemäß § 275 Abs. 1 BGB ist der Anspruch auf Leistung ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. Rechtliche Unmöglichkeit ist gegeben, wenn ein geschuldeter Erfolg aus Rechtsgründen nicht herbeigeführt werden kann oder nicht herbeigeführt werden darf. Dies wird vom BGH in der vorliegenden Konstellation zu Recht bejaht.

Für den Zeitraum der vollständigen behördlichen Schließung des Fitnessstudios als Maßnahme zur Eindämmung der COVID‑19-Pandemie ist es dem Betreiber rechtlich unmöglich, dem Kunden die Möglichkeit zur vertragsgemäßen Nutzung des Fitnessstudios zu gewähren und damit seine vertraglich geschuldete Hauptleistungspflicht zu erfüllen. Im Gegenzug entfällt nach § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB für den Kunden in diesem Zeitraum auch die Verpflichtung zur Zahlung des Nutzungsentgelts. Sollte dieses wie im vom BGH entschiedenen Fall bereits gezahlt worden sein, kann der Kunde es gem. § 326 Abs. 4 BGB von dem Fitnessstudiobetreiber zurückverlangen.

b) Keine vorübergehende Unmöglichkeit

Aus Sicht des BGH ist auch keine nur vorübergehende Unmöglichkeit gegeben, die von § 275 Abs. 1 BGB nicht erfasst würde. Der Zweck eines Fitnessstudiovertrags liegt in der regelmäßigen sportlichen Betätigung und damit entweder in der Erreichung bestimmter Fitnessziele oder zumindest der Erhaltung von Fitness und körperlicher Gesundheit. Aufgrund dessen sind für den Kunden gerade die regelmäßige und ganzjährige Öffnung und Nutzbarkeit des Studios von entscheidender Bedeutung. Kann der Betreiber des Fitnessstudios während der vereinbarten Vertragslaufzeit dem Kunden zeitweise die Nutzungsmöglichkeit des Studios nicht gewähren, kann dieser Vertragszweck für den Zeitraum der Schließung nicht erreicht werden. Die von dem Betreiber geschuldete Leistung ist deshalb wegen Zeitablaufs nicht mehr nachholbar.

c) Keine ergänzende Vertragsauslegung

Der streitgegenständliche Fitnessstudiovertrag enthielt keine ausdrückliche Regelung zum Umfang der Leistungspflicht des Betreibers, insbesondere keine Verpflichtung zur ununterbrochenen Zurverfügungstellung des Fitnessstudios. Allerdings war der Betreiber nach seinen eigenen AGB dazu verpflichtet, die Nutzung des Fitnessstudios „während der Öffnungszeiten“ zu ermöglichen.

Daher war der Vertrag nach dem BGH dahingehend auszulegen, dass (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.07.2022 09:36
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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