BGH v. 11.5.2022 - XII ZB 543/20

Expatriate: Zur engeren Verbindung der Ehe zum Recht eines anderen Staates nach Art. 5 HUP

Der BGH hat sich vorliegend mit der Frage der engeren Verbindung der Ehe zum Recht eines anderen Staates nach Art. 5 HUP bei aufgrund beruflicher Verhältnisse eines Ehegatten (Expatriate) jeweils befristeten Aufenthalten in verschiedenen Ländern befasst. Ob für eine engere Verbindung der Ehe zum Recht eines anderen Staates nach Art. 5 HUP Anhaltspunkte von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten als in der Regel maßgeblicher Anknüpfungspunkt zurücktritt, ist eine Frage der bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung zu berücksichtigenden Einzelfallumstände.

Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin begehrt vom Antragsgegner nachehelichen Unterhalt. Die Beteiligten, die beide deutsche Staatsangehörige sind, lebten mit ihrer 1992 geborenen Tochter seit dem Jahr 1994 gemeinsam in Schottland, wo der Ehemann eine Doktorandenstelle innehatte. Im Jahr 1999 ging der Ehemann ein Arbeitsverhältnis mit einem weltweit tätigen Mineralölunternehmen ein, wonach er als sog. Expatriate für eine jeweils befristete Zeit von in der Regel vier Jahren an einem internationalen Standort des Unternehmens tätig sein sollte.

Daraus ergab sich unter zwischenzeitlicher Verlängerung zunächst ein Aufenthalt der Familie in den Niederlanden von 1999 bis 2008, wo die Beteiligten im Jahr 2006 einen Partnerschaftsvertrag nach niederländischem Recht schlossen und im Juli 2008 heirateten. Anschließend lebten sie im Zuge einer befristeten Tätigkeit des Ehemanns im Sultanat Brunei. Seit Juni 2012 hielt sich die Familie im US-Bundesstaat Texas auf, wo der Ehemann für das Unternehmen im Rahmen eines zunächst auf längstens fünf Jahre befristeten Einsatzes zu den Bedingungen eines "Local Non-National" arbeitete.

Im Anschluss an die Trennung der Beteiligten im Februar 2015 wurde ihre Ehe auf ihren beiderseitigen Antrag durch Urteil des Bezirksgerichts des 505. Gerichtsbezirks, Fort Bend County, Texas, vom 8.12.2017 rechtskräftig geschieden. Im Rahmen einer Mediation hatten sie am 6.10.2017 eine durch das Urteil bestätigte Scheidungsfolgenvereinbarung getroffen, die im Wesentlichen Regelungen zur Vermögensauseinandersetzung einschließlich der vom Ehemann erworbenen Anrechte auf Altersvorsorge enthielt. Seit der Scheidung hält sich die Ehefrau bei ihren Eltern in Deutschland auf, während der Ehemann weiterhin in Texas lebt.

Das AG wies den Antrag der Ehefrau, den Ehemann zur Zahlung eines rückständigen nachehelichen Ehegattenunterhalts für den Zeitraum von April 2018 bis Juni 2018 i.H.v. insgesamt rd. 15.500 € und eines laufenden Unterhalts ab Juli 2018 i.H.v. mtl. insgesamt rd. 5.200 € zu verpflichten, auf der Grundlage des nach seiner Auffassung anwendbaren texanischen Unterhaltsrechts zurück. Die Beschwerde der Ehefrau hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Es ist rechtsfehlerhaft, dass das OLG texanisches Unterhaltsrecht angewendet und auf dieser Grundlage einen Unterhaltsanspruch der Ehefrau verneint hat.

Das auf den hier geltend gemachten Unterhaltsanspruch anwendbare Recht bestimmt sich gem. Art. 15 EuUntVO nach dem Haager Protokoll vom 23.11.2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (Haager Unterhaltsprotokoll - HUP). Die Rechtsbeschwerde rügt hier erfolgreich die Anwendung des Art. 5 HUP durch das OLG. Nach der Grundregel des Art. 3 Abs. 1 HUP ist für Unterhaltspflichten das Recht des Staates maßgebend, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Allerdings findet diese Anknüpfung in Fällen des Ehegattenunterhalts gem. Art. 5 HUP keine Anwendung, wenn eine der Parteien sich dagegen wendet und das Recht eines anderen Staates, insbesondere des Staates des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten, zu der betreffenden Ehe eine engere Verbindung aufweist. Hintergrund der als Einrede zu qualifizierenden Regelung ist das Vertrauen eines Ehegatten in diejenige Rechtsordnung, der sich beide Eheleute während des Bestehens der Ehe unterstellt haben. Ein Ehegatte soll nicht die Möglichkeit haben, das Bestehen und den Inhalt der Unterhaltspflicht durch einen einseitigen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltsorts auf unfaire Weise zu beeinflussen.

Art. 5 HUP stellt die Ausnahme zu der in Art. 3 HUP niedergelegten Grundanknüpfung dar. Lässt sich daher keine andere Rechtsordnung feststellen, zu der die Ehe der Beteiligten eine engere Verbindung aufweist, bleibt es nach soweit ersichtlich allgemeiner Meinung aufgrund dieses Regel-Ausnahme-Verhältnisses bei der allgemeinen Regel des Art. 3 HUP für das anzuwendende Recht. Art. 5 HUP verlangt eine wertende Gesamtbetrachtung. Ob für eine engere Verbindung der Ehe zum Recht eines anderen Staates nach Art. 5 HUP Anhaltspunkte von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten als in der Regel maßgeblicher Anknüpfungspunkt zurücktritt, ist eine Frage der bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung zu berücksichtigenden Einzelfallumstände. Als solche kommen neben dem vom Normgeber in Art. 5 HUP ausdrücklich genannten und mit "insbesondere" besonders hervorgehobenen letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten weitere Gesichtspunkte in Betracht, etwa ein früherer gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt der Ehegatten während der Ehe, ihre Staatsangehörigkeit, der Ort der Eheschließung sowie der Ort der Trennung oder Scheidung.

Die Abwägung der für die Beurteilung einer engeren Verbindung i.S.d. Art. 5 HUP in Betracht kommenden Gesichtspunkte ist Aufgabe des Tatrichters. Sie ist vom Rechtsbeschwerdegericht nur daraufhin zu überprüfen, ob sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder sonst auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht. Auch bei Anlegung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs hält die Annahme einer engeren Verbindung der Ehe der Beteiligten zum Recht des Bundesstaates Texas durch das OLG den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand. Dessen Würdigung, wonach der - im Wesentlichen durch den nicht auf Dauer angelegten gemeinsamen Aufenthalt in Texas vermittelte - Bezug zum Recht des Bundesstaates Texas ein höheres Gewicht als die zur Anwendung deutschen Unterhaltsrechts führende Grundanknüpfung des gewöhnlichen Aufenthalts der Ehefrau (Art. 3 Abs. 1 HUP) hat, ist von Rechtsfehler beeinflusst. Mit Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, dass das OLG auf der Grundlage seiner Feststellungen zu den Lebensumständen der Beteiligten, insbesondere zu den Umständen ihres Aufenthalts in Texas, dem Gesichtspunkt des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts im hier zu beurteilenden Einzelfall einen unvertretbar hohen Stellenwert eingeräumt hat.

Art. 5 HUP erwähnt als einzigen Staat zwar ausdrücklich denjenigen des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten als einen in Betracht kommenden anderen Staat, zu dem die Ehe eine engere Verbindung als zum Aufenthaltsstaat des Unterhaltsberechtigten (Art. 3 Abs. 1 HUP) haben kann. Für die hier zu beurteilende Fallgestaltung ist die Bedeutung des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten jedoch entwertet. Der gemeinsame Aufenthalt in Texas ab dem Jahr 2012 war nicht auf Dauer angelegt, sondern reihte sich in eine durch die beruflichen Verhältnisse des Ehemanns bedingte regelmäßige Abfolge jeweils befristeter Aufenthalte in verschiedenen Ländern ein. Die Ortswechsel waren demnach nicht durch eine Bindung der Beteiligten zum jeweiligen Einsatzort begründet. Für die auf längstens fünf Jahre begrenzte Tätigkeit des Ehemannes in Texas gilt nichts anderes, auch wenn er in diesem Zusammenhang vom Arbeitgeber nicht als "Expatriate", sondern zu den Bedingungen eines "Local Non-National" beschäftigt wurde. Bei solcherart regelmäßig wechselnden gewöhnlichen Aufenthalten kann aus dem jeweiligen, von vornherein lediglich vorübergehend angelegten Aufenthaltsort nicht ohne weiteres auf einen Bezug der Ehe zu dessen Rechtsordnung geschlossen werden, der eine Anwendung von Art. 5 HUP rechtfertigen könnte. Vielmehr hätte es zufälligen Charakter, welches Recht in Anknüpfung an den jeweils letzten gemeinsamen Aufenthalt anstelle des sonst berufenen Rechts zur Anwendung gelangt.

Die angefochtene Entscheidung konnte aus den genannten Gründen keinen Bestand haben und war daher gem. § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben. Zwar sind zur Frage des nach dem HUP anwendbaren Unterhaltsrechts keine weiteren Feststellungen mehr zu treffen, weshalb der Senat selbst befinden kann, dass vorliegend eine Anwendung von Art. 5 HUP ausscheidet und es daher grundsätzlich bei der Grundregel des Art. 3 Abs. 1 HUP verbleibt. Die Sache ist gleichwohl nicht zur Endentscheidung reif und war daher an das OLG zurückzuverweisen. Dieses wird sich nun mit der von ihm bislang aus seiner Sicht folgerichtig offen gelassenen Frage zu befassen haben, ob die Ehefrau mit der Scheidungsfolgenvereinbarung vom 6.10.2017 auf nachehelichen Unterhalt verzichtet hat. Sollte dies nicht der Fall sein, wird das OLG zudem über Dauer und Höhe des von der Ehefrau geltend gemachten Unterhaltsanspruchs zu entscheiden haben.

Mehr zum Thema:

  • Aufsatz: Wagner – Recht am Eheschließungsort als generelles Eheschließungsstatut? (FamRZ 2022, 245)
  • Rechtsprechung (Vorinstanz): OLG Karlsruhe vom 26.11.2020, 2 UF 3/20 – Art. 3 lit. b EuUntVO, 3 I, 5 S. 1 HUnthP: Bestimmung des anzuwendenden Unterhaltsrechts (FamRZ 2021, 1030)
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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 20.06.2022 12:56
Quelle: BGH online

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