BGH v. 11.5.2022 - XII ZB 423/21

Keine Beschwerde wegen zu Unrecht angenommener Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszugs

Die Beschwerde kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszugs seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat (§ 65 Abs. 4 FamFG, im Anschluss an Senatsbeschluss vom 29.9.2021 - XII ZB 495/20, FamRZ 2021, 1908). Dies gilt auch im Exequaturverfahren, wenn das Beschwerdegericht in der Sache selbst entscheidet.

Der Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten über die Vollstreckbarerklärung einer schweizerischen Gerichtsentscheidung zum Ehegatten- und Kindesunterhalt. Die Antragstellerin zu 2) und der Antragsgegner sind getrenntlebende Ehegatten. Ihre letzte gemeinsame Wohnung war in der Schweiz, wo die Ehefrau, die die schweizerische Staatsangehörigkeit besitzt, noch heute lebt. Aus der Ehe ist ein elfjähriger Sohn (Antragsteller zu 1) hervorgegangen, der bei der Ehefrau lebt. Der Ehemann hatte im Zeitpunkt der Einleitung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland.

Durch Entscheid des Kreisgerichts Rorschach von August 2020 wurde u.a. das Getrenntleben der Ehegatten bewilligt und die Obhut des Sohnes bei der Ehefrau festgelegt. Der Ehemann wurde zudem für die Zeit ab Februar 2018 zur Zahlung von Ehegatten- und Kindesunterhalt an die Ehefrau verpflichtet.

Die Ehefrau beantragte unter Vorlage einer für sie als Gläubigerin ausgestellten Bescheinigung über die Vollstreckbarkeit beim Vorsitzenden der Zivilkammer des LG, den Entscheid mit einer Vollstreckungsklausel zu versehen. Das LG gab die Sache zuständigkeitshalber an das AG - Familiengericht - ab. Vor dem AG stellte auf eine Anregung des LG zurückgehend auch der Sohn als Antragsteller zu 1) den Antrag.

Das AG gab dem gemeinsamen Antrag unter Anwendung des Haager Übereinkommens vom 2.10.1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (HUVÜ 73) statt. Das OLG wies die Beschwerde des Ehemanns unter Anwendung des Übereinkommens vom 30.10.2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LugÜ 2007) zurück. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Ehemanns hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Nach Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das AG in sachlicher Unzuständigkeit entschieden, da der Antrag auf Vollstreckbarerklärung nach dem LugÜ 2007 gem. Art. 39 i.V.m. Anhang II des Abkommens an den Vorsitzenden des LG zu richten sei. Die in dem Abkommen geregelte Zuständigkeitsbestimmung werde als unmittelbar geltendes Recht der EU durch die Durchführungsbestimmungen des Auslandsunterhaltsgesetzes nicht berührt (§ 1 Abs. 2 Satz 2 AUG), weshalb sie der in § 35 Abs. 1 AUG abweichend geregelten Zuständigkeitsbestimmung vorgehe. Hiermit zeigt die Rechtsbeschwerde jedoch bereits keinen Verfahrensfehler des OLG auf.

Gem. § 2 AUG i.V.m. § 65 Abs. 4 FamFG kann die Beschwerde nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszugs seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Ausnahmen davon hat der Senat in verfassungskonformer Auslegung des § 65 Abs. 4 FamFG bisher nur für Fälle der Willkür zugelassen. Selbst wenn man mit der Rechtsbeschwerde annähme, dass eine weitere Ausnahme von § 65 Abs. 4 FamFG auch dann zuzulassen sei, wenn ein Beteiligter wie hier der Antragsgegner aufgrund Art. 41 Satz 2 LugÜ 2007, § 58 AUG im erstinstanzlichen Verfahren kein rechtliches Gehör zur Frage der Gerichtszuständigkeit hatte, wäre dieses nicht rechtserheblich. Denn gem. §§ 2, 45 Abs. 1 AUG i.V.m. § 69 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Beschwerdegericht in der Sache grundsätzlich selbst zu entscheiden. Entscheidet es in der Sache selbst, fungiert es verfahrensordnungsgemäß als gesetzlicher Richter und wirkt sich die vermeintliche Unzuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts nicht aus.

Im Ergebnis ebenfalls ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, dass hinsichtlich des Kindesunterhalts die Vollstreckbarerklärung auf Antrag des minderjährigen Sohns erteilt worden sei, obgleich nicht er, sondern insoweit ebenfalls die Ehefrau Gläubigerin des Vollstreckungstitels sei. Denn die Ehefrau als Gläubigerin hat den Antrag auf Vollstreckbarerklärung unbeschränkt unter Beifügung einer für sie ausgestellten Bescheinigung über die Vollstreckbarkeit (Formblatt V LugÜ 2007) gestellt, weshalb diese bereits allein auf ihren Antrag ausgesprochen werden konnte. Der daneben zusätzlich im Namen des Sohns gestellte Antrag geht ins Leere, ohne die Wirksamkeit der Vollstreckbarerklärung auf Antrag der Ehefrau als die im Titel bezeichnete Gläubigerin in Frage zu stellen.

Mehr zum Thema:

  • Aufsatz: Streicher – Rechtsprechungsübersicht zum FamFG im Jahre 2021 (FamRZ 2022, 489)
  • Rechtsprechung: BGH vom 29.9.2021, XII ZB 495/20 – § 571 II ZPO: Prüfung von örtl. und internat. Zuständigkeit [m. Anm. Gottwald, S. 1910] (FamRZ 2021, 1908)
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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 20.06.2022 11:35
Quelle: BGH online

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