Aktuell in der MDR

Das besondere elektronische Anwaltspostfach - beA (Schwenker, MDR 2022, 671)

Die aktive Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) für Rechtsanwälte ist bundesweit zum 11.1.2022 in Kraft getreten. Dokumente, für die die Schriftform (§ 130 Nr. 6 Halbs. 1 ZPO) vorgeschrieben ist, müssen elektronisch eingereicht werden. Ein bei Gericht nach dem 1.1.2022 nicht in der Form des § 130d ZPO als elektronisches Dokument eingereichter Schriftsatz ist daher formunwirksam und damit unbeachtlich. Hans Christian Schwenker zeigt anhand der einschlägigen BGH-Rechtsprechung auf, welche Haftungsfallen für Rechtsanwälte die Nutzung des beA mit sich bringen kann.


I. Rechtsprechung des BGH zum beA

1. Rechtsanwaltspflichten bei gescheiterter Fax-Übermittlung

a) Hintergrund

b) Keine Abwälzung der Risiken eines eröffneten Übermittlungswegs (hier: Faxgerät) auf den Nutzer

c) Unzumutbarkeit einer Nutzung des beA vor dem 1.1.2022 als Übermittlungsalternative

2. Anwaltliche Überwachungspflichten bei Übermittlung und Eingang von Dokumenten

a) Hintergrund

b) Kontrollpflicht hinsichtlich des Erhalts einer elektronischen Bestätigung

c) Zeitpunkt des Eingangs: Mit Eingang auf dem zentralen Intermediär-Server des EGVP oder mit Zugriff des Gerichts auf das Dokument?

d) Überprüfungspflicht des Dokumenteneingangs per beA anhand der Eingangsbestätigung?

aa) Überprüfung des Übermittlungsvorgangs

bb) Hinweise eines Übermittlungsprotokolls

e) Zurechenbarkeit des anwaltlichen Verschuldens

3. Anforderungen an die Prüfung der elektronischen Signatur durch den Rechtsanwalt

a) Hintergrund

b) Überprüfungspflichten bei Unterschriften

c) Erneute Überprüfungspflicht bei zweitem Durchgang

II. Konsequenzen für die Nutzung des beA

1. Notwendige Kontrolle der Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO

2. Bezeichnung der Anlagen


I. Rechtsprechung des BGH zum beA

Regelmäßig muss sich der BGH mit Wiedereinsetzungsanträgen nach Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist befassen. Es handelt sich dabei um die in der Praxis am häufigsten verletzte der in § 233 ZPO genannten Fristen. Da Wiedereinsetzung nur zu gewähren ist, wenn die Fristversäumung nicht auf einem Verschulden der Partei oder ihres Vertreters beruht, der Partei nach § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden ihres Bevollmächtigten zugerechnet wird, hängt die Begründetheit des Wiedereinsetzungsantrags regelmäßig davon ab, ob dem Bevollmächtigten einer Partei eine Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen ist.

1. Rechtsanwaltspflichten bei gescheiterter Fax-Übermittlung

Von allerdings mittlerweile nur noch rechtshistorischem Interesse ist der Beschluss des VII. Zivilsenat des BGH vom 29.9.2021. Dieser hatte darüber zu entscheiden, ob – vor dem 1.1.2022 – einem mit der aktiven Nutzung des beA nicht vertrauten Prozessbevollmächtigten bei Fehlschlagen der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax die Nutzung des beA zuzumuten ist.

a) Hintergrund

Die Rechtsanwältin hatte fristgerecht Berufung eingelegt. Innerhalb der bis zum 6.11.2020 verlängerten Frist zur Begründung der Berufung war jedoch eine Berufungsbegründung beim Berufungsgericht nicht eingegangen. Mit Schriftsatz vom 9.11.2020 hat die Rechtsanwältin beantragt, ihrer Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, und die Berufungsbegründung an diesem Tag an das Gericht übermittelt. Sie habe die Berufungsbegründungsschrift noch am 6.11.2020 per Telefax versandt. Der Schriftsatz habe aufgrund eines Defekts des Empfangsgeräts beim Gericht nicht empfangen bzw. ausgedruckt werden können. Dies sei ihr am 9.11.2020 telefonisch mitgeteilt worden. Mit Verfügung vom 3.12.2020 hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass ein etwaiger Hinderungsgrund dazu, warum die Nutzung des beA zur Übersendung der Berufungsbegründung nicht möglich gewesen sei, bislang nicht glaubhaft gemacht sei. Darauf hat die Rechtsanwältin vorgetragen, zwar nutze sie das beA, eine fristwahrende Übersendung der Berufungsbegründungsschrift wäre ihr jedoch mangels vorhandener Signaturfunktion auf der beA-Karte bereits technisch nicht möglich gewesen. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

b) Keine Abwälzung der Risiken eines eröffneten Übermittlungswegs (hier: Faxgerät) auf den Nutzer

Der Beklagte hat zwar die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Ihm war jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Frist für die Berufungsbegründung gehindert war. Die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax ist in allen Gerichtszweigen uneingeschränkt zulässig. Wird dieser Übermittlungsweg durch ein Gericht eröffnet, so dürfen die aus den technischen Gegebenheiten des Kommunikationsmittels herrührenden besonderen Risiken nicht auf den Nutzer dieses Mediums abgewälzt werden.

Das gilt insbesondere für Störungen des Empfangsgeräts im Gericht. In diesem Fall liegt die entscheidende Ursache für die Fristsäumnis in der Sphäre des Gerichts. Dementsprechend hat der Versender mit der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer grundsätzlich das seinerseits zur Fristwahrung Erforderliche getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung beginnt, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss vor 0:00 Uhr zu rechnen ist.

c) Unzumutbarkeit einer Nutzung des beA vor dem 1.1.2022 als Übermittlungsalternative

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.06.2022 16:13
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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