BGH v. 1.6.2022 - VIII ZR 287/20

Klageserie gegen Berliner Fernwärmeversorgungsunternehmen - Nur geringe Rückerstattung

Die seit vielen Jahren gefestigte BGH-Rechtsprechung hinsichtlich der sog. Dreijahreslösung ist auch angesichts der jüngeren EuGH-Rechtsprechung unverändert mit den Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 der Klausel-Richtlinie vereinbar. Da - wie der Senat kürzlich bereits entschieden hat (Urteil vom 6.4.2022 – VIII ZR 295/20) - die Unwirksamkeit der Preisänderungsklausel zum Arbeitspreis gem. § 306 Abs. 1 BGB die Wirksamkeit der Anpassungsklausel zum Bereitstellungspreis in den Allgemeinen Versorgungsbedingungen nicht berührt, kam auch diesbezüglich ein Rückzahlungsanspruch nicht in Betracht.

Der Sachverhalt:
Die Beklagte hatte die Kläger von 2002 bis 2018 auf der Grundlage von Allgemeinen Versorgungsbedingungen i.S.v. § 1 Abs. 1 AVBFernwärmeV mit Fernwärme beliefert. Sie stellte demnach ihren Kunden einen verbrauchsunabhängigen Bereitstellungspreis und einen verbrauchsabhängigen Arbeitspreis in Rechnung, die sie nach Maßgabe im Vertrag vorgesehener Preisänderungsklauseln jährlich anpasste.

Im Januar 2019 entschied das KG in einem anderen gegen die Beklagte gerichteten Rechtsstreit, dass die auf den Arbeitspreis bezogene Preisänderungsklausel den Transparenzanforderungen in § 24 Abs. 4 Satz 2 AVBFernwärmeV nicht genüge und damit sämtliche in den Allgemeinen Versorgungsbedingungen der Beklagten enthaltenen Anpassungsklauseln - also auch die den Bereitstellungspreis betreffende - nach § 139 BGB unwirksam seien. Unter Berufung auf dieses Urteil hielten die Kläger - wie andere Kunden auch - die entrichteten Wärmeentgelte für überhöht und verlangten Rückerstattung.

Das AG hat im vorliegenden Fall die auf Rückzahlung in den Jahren 2015 bis 2018 vermeintlich überzahlter Arbeits- und Bereitstellungspreise i.H.v. rund 1.350 € nebst Zinsen gerichtete Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht war davon ausgegangen, dass allein die den Arbeitspreis betreffende Preisänderungsklausel nach § 24 Abs. 4 Satz 2 AVBFernwärmeV intransparent und deshalb gem. § 134 BGB unwirksam sei. Zudem sei es zu keiner Überzahlung gekommen, da insoweit nicht der bei Abschluss des Vertrags im Jahr 2002 vereinbarte (deutlich niedrigere) Anfangspreis, sondern nach der sog. Dreijahreslösung des BGH vielmehr der Arbeitspreis des Jahres 2014 maßgebend sei, der bis 2018 jedoch nicht überschritten worden sei.

Der BGH hat die hiergegen gerichtete Revision der Kläger (ganz überwiegend) zurückgewiesen.

Gründe:
Die von der Beklagten verwendete Preisänderungsklausel zum Arbeitspreis war zwar gem. § 134 BGB unwirksam, was - entgegen der Auffassung des LG - aber nicht aus einem Verstoß gegen das Transparenzgebot in § 24 Abs. 4 Satz 2 AVBFernwärmeV folgte. Ausweislich dieser in den Allgemeinen Versorgungsbedingungen der Beklagten (bis zum Ende des streitgegenständlichen Zeitraums) enthaltenen Preisänderungsklausel und den dazugehörigen Erläuterungen wurde der Arbeitspreis für das abzurechende Jahr rückwirkend im gleichen Verhältnis erhöht oder gesenkt, in dem sich der von der Beklagten ihrerseits an ihren Vorlieferanten für den Wärmebezug zu leistende Energiepreis in diesem Zeitraum verändert hatte. Damit war die Art und Weise der periodischen Anpassung des Arbeitspreises für den Kunden aus sich heraus hinreichend klar und verständlich.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gebietet das Transparenzgebot des § 24 Abs. 4 Satz 2 AVBFernwärmeV darüber hinaus eine Erläuterung der Zusammensetzung der Bezugspreise des Fernwärmeversorgungsunternehmens, also insbesondere der diesen zugrundeliegenden vertraglichen und preislichen Bestimmungen oder auch die namentliche Bezeichnung des Bezugslieferanten, nicht. Diese Gesichtspunkte können allenfalls für die Prüfung der inhaltlichen Angemessenheit einer solchen Klausel von Bedeutung sein.

Die den Arbeitspreis betreffende Preisänderungsklausel der Beklagten verstieß hier allerdings gegen die Anforderung des § 24 Abs. 4 Satz 1 AVBFernwärmeV, dass neben der Kostenentwicklung bei Erzeugung und Bereitstellung der Fernwärme durch das Unternehmen auch die "jeweiligen Verhältnisse auf dem Wärmemarkt" angemessen berücksichtigt werden müssen. Mit diesem zusätzlichen "Marktelement" sollte angesichts der häufig monopolartigen Stellung von Fernwärmeversorgungsunternehmen gegenüber einer rein kostenorientierten Preisanpassung gewährleistet werden, dass Versorger durch Anpassungen des Wärmepreises nicht beliebig ihre Kosten weiterreichen können. Dem wurde die von der Beklagten verwendete Preisanpassungsklausel jedoch nicht gerecht, weil sie Anpassungen des Arbeitspreises ausschließlich anhand eines ihre Kostenentwicklung abbildenden Parameters vollzogen hat.

Die Kläger konnten die Unwirksamkeit auf der Preisänderungsklausel zum Arbeitspreis beruhender Preiserhöhungen jedoch nur insoweit geltend machen, als sie diese innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hatten (sog. Dreijahreslösung; siehe hierzu zuletzt: BGH v. 26.1.2022 - VIII ZR 175/19). Diese seit vielen Jahren gefestigte Rechtsprechung ist auch angesichts der jüngeren EuGH-Rechtsprechung unverändert mit den Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 der Klausel-Richtlinie vereinbar.

Bei ihrer gegenteiligen Auffassung blenden die Revision und Teile des Schrifttums insbesondere aus, dass durch die vom Senat insoweit vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung in Einklang mit der - vom EuGH stets hervorgehobenen - Zielsetzung des Art. 6 Abs. 1 der Klausel-Richtlinie die nach dem Vertrag bestehende (infolge der unwirksamen Preisanpassungsklausel entfallene) formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien unter Berücksichtigung ihrer beider Interessen durch eine materielle Ausgewogenheit ersetzt und so deren Gleichheit wiederhergestellt wird.

Infolgedessen war vorliegend (weitgehend) der Arbeitspreis des Jahres 2014 maßgebend, so dass es im streitgegenständlichen Zeitraum nur zu einer sehr geringfügigen Überzahlung der Kläger gekommen war. Da zudem - wie der Senat kürzlich bereits entschieden hat (Urteil vom 6.4.2022 – VIII ZR 295/20) - die Unwirksamkeit der Preisänderungsklausel zum Arbeitspreis gem. § 306 Abs. 1 BGB die Wirksamkeit der - als solche den Anforderungen des § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV entsprechenden - Anpassungsklausel zum Bereitstellungspreis in den Allgemeinen Versorgungsbedingungen der Beklagten nicht berührt, kam auch diesbezüglich ein Rückzahlungsanspruch der Kläger nicht in Betracht. Die Kläger können nur Rückzahlung des Teils der Bereitstellungskosten verlangen, die über das Vertragsende hinaus berechnet wurden.

Hintergrund:

Vorliegend handelt es sich um ein weiteres von zahlreichen beim VIII. Zivilsenat anhängigen Verfahren, in denen Ansprüche gegen ein Berliner Energieversorgungsunternehmen geltend gemacht werden. Auch am Land- und Kammergericht in Berlin werden in diesem Zusammenhang derzeit noch weitere Rechtsstreitigkeiten geführt.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 02.06.2022 10:05
Quelle: BGH PM Nr. 79 v. 1.6.2022

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