Aktuell in der MDR

Die Betriebsschließungsversicherung in der Pandemie (Sahlender, MDR 2022, 529)

Im Zentrum der Rechtsstreitigkeiten zur Betriebsschließungsversicherung steht derzeit die Frage, ob eine Betriebsschließung aufgrund der sog. Corona-Pandemie versichert ist oder nicht. In einer aktuellen Entscheidung hat der BGH einem Versicherungsnehmer (hier: von ihm betriebene Gaststätte in Schleswig-Holstein) auf der Grundlage der vereinbarten Versicherungsbedingungen Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung wegen einer im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie erfolgten Schließung verwehrt. Der folgende Beitrag erläutert, welche Fragen nunmehr geklärt und welche Fragen noch offen sind.


I. Einleitung

II. Die streitgegenständliche Versicherungsklausel

III. Die einzelnen Aspekte der BGH-Entscheidung

1. Der Eintritt des Versicherungsfalls setzt keine „intrinsische“ Gefahr voraus

a) Wortlaut

b) Systematischer Zusammenhang

2. Auslegung von § 2 Nr. 2 AVB: Abgeschlossenheit des Katalogs

a) Orientierung am Wortlaut

b) Schlussfolgerung aus dem ausdrücklichen Ausschluss von Prionenerkrankungen

c) Zweck und Sinnzusammenhang

3. Wirksamkeitskontrolle

a) Kein kontrollfreies Klauselwerk

b) Transparanzkontrolle (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB)

c) Angemessenheitskontrolle (§ 307 Abs. 2 BGB)

IV. Ausblick: Bedeutung der Entscheidung für die Praxis


I. Einleitung

Eines der am häufigsten verwendeten Klauselwerke Allgemeiner Versicherungsbedingungen (AVB) zur Betriebsschließungsversicherung macht Versicherungsleistungen u.a. davon abhängig, dass die zuständige Behörde aufgrund des IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb schließt, wobei diese Klauselwerke einen eigens formulierten Katalog meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger enthalten, der weder COVID-19, noch den SARS-CoV-2-Erreger ausdrücklich erwähnt.

In diesem Zusammenhang wird in der Rechtsprechung und Literatur problematisiert, ob der versicherte Katalog der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger abschließend ist und wenn nicht, ob das Klauselwerk statisch auf eine bestimmte Fassung des IfSG bei Vertragsschluss oder dynamisch auf das IfSG in der bei Eintritt des Versicherungsfalles gültigen Fassung verweist.

Weitere Streitigkeiten entzünden sich hauptsächlich an den Fragen, ob die Gefahrbegrenzung auf bestimmte Krankheiten oder Krankheitserreger in den AVB nach AGB-Recht wirksam ist, ob sich die Gefahr im geschlossenen Betrieb selbst verwirklicht haben muss (sog. „intrinsische Gefahr“), ob auch eine teilweise Betriebsschließung für den Eintritt des Versicherungsfalles ausreicht (sog. „faktische Schließung“), welche staatlichen Maßnahmen versichert sind und ob diese rechtmäßig sein müssen, ob Leistungsausschlussklauseln im Falle wiederholter Schließungen (Mehrfachanordnungen) in unterschiedlichen Fassungen wirksam sind und wann diese greifen.

Zu den grundlegenden Fragen der Abgeschlossenheit eines bestimmten Kataloges, der AGB-rechtlichen Wirksamkeit der Gefahrbegrenzung und der intrinsischen Infektionsgefahr liegt nun erstmals eine höchstrichterliche Entscheidung vor.

II. Die streitgegenständliche Versicherungsklausel

Die Parteien streiten über Ansprüche des Klägers aus einer bei der Beklagten unterhaltenen Betriebsschließungsversicherung. Die Schleswig-Holsteinische Landesregierung ordnete mit der Landesverordnung v. 17.3.2020 im Zusammenhang mit der sog. Corona-Pandemie u.a. die grundsätzliche Schließung aller Gaststätten für den Publikumsverkehr an; lediglich der Außer-Haus-Verkauf blieb unter Auflagen erlaubt. Der Kläger, ein Gastwirt aus Schleswig-Holstein, schloss daraufhin seine Gaststätte und bot einen Lieferdienst an.

Die der Entscheidung zugrunde liegende Klausel lautet auszugsweise, wie folgt: (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 11.05.2022 16:32
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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