BGH v. 23.9.2021 - III ZR 200/20

Kein Schadensersatz wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung für nach Veröffentlichung der Dieselfälle erworbenes Gebrauchtfahrzeug

Automobilhersteller haften in einem "Dieselfall" nicht nach §§ 826, 31 BGB gegenüber Käufern, die betroffene Gebrauchtfahrzeuge erst nach der Veröffentlichung des Sachverhaltes erworben haben. Durch die Aufklärung des Automobilherstellers ab dem 22.9.2015 wurden wesentliche, das Unwerturteil begründende Elemente derart relativiert, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf das Gesamtverhalten gegenüber solchen Käufern nicht mehr gerechtfertigt ist. Die Implementierung eines Thermofensters durch ein Softwareupdate rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Der Sachverhalt:
Der Kläger erwarb im Mai 2017 einen 2012 erstzugelassenen VW Passat 2.0 TDI zum Preis von 10.050 € und veräußerte diesen im Juli 2019 zum Preis von 6.300 € weiter. In dem Fahrzeug war ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor Typ EA 189 verbaut.

Am 22.9.2015 veröffentlichte die Beklagte eine Mitteilung, aus der sich ergab, dass etwaige Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit Dieselmotoren des Typs EA 189 aufgeklärt würden. Seitdem wurde über die "Abschalt-Software" in den Medien ausführlich berichtet und diskutiert. Im Oktober 2015 verfügte das Kraftfahrtbundesamt (KBA) gegenüber der Beklagten den Rückruf der betroffenen Fahrzeuge und gab ihr auf, die "unzulässigen Abschalteinrichtungen" zu entfernen. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Softwareupdate zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit, das vom KBA genehmigt und im Juni 2016 bei dem später vom Kläger erworbenen Fahrzeug aufgespielt wurde.

Der Kläger behauptete, er habe keine Kenntnis von den Details und Hintergründen besessen. Infolge seines Irrtums sei es zu dem für ihn wirtschaftlich nachteiligen Kaufvertrag gekommen. Auch nach dem Softwareupdate habe das Fahrzeug über eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) verfügt und die Grenzwerte weiterhin überschritten. Der Kläger beantragte, die Beklagte zu verurteilen, an ihn etwa 2.500 € nebst Zinsen zu zahlen sowie die außergerichtliche Kostenerstattung.

LG und OLG wiesen die Klage ab.Die Revision des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 31 StGB sowie aus Art. 5 VO (EG) 715/2007.

Dem Kläger steht auch kein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Die Beklagte hat dem Kläger nicht in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise Schaden zugefügt. Zwar ist das Verhalten der Beklagten bis zum September 2015 im Verhältnis zu den Personen, die eines der betroffenen Fahrzeuge vor den in diesem Zeitpunkt ergriffenen Aufklärungsmaßnahmen erwarben und keine Kenntnis von der illegalen Abschalteinrichtung hatten, besonders verwerflich, objektiv sittenwidrig und steht wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung gleich.

Durch die Verhaltensänderung der Beklagten ab dem 22.9.2015 (Mitteilung an die Öffentlichkeit, Einräumen von Unregelmäßigkeiten und Erarbeitung von geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung) wurden jedoch wesentliche Elemente, die dieses Unwerturteil begründeten, derart relativiert, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gegenüber späteren Käufern von mit einem Dieselmotoren des Typs EA 189 ausgestatteten Fahrzeugen und im Hinblick auf den Schaden, der bei ihnen durch den Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags entstanden sein könnte, nicht mehr gerechtfertigt ist. Insb. kann das Verhalten der Beklagten in einer Gesamtbetrachtung nicht mehr mit einer arglistigen Täuschung gleichgesetzt werden. Die Verlautbarungen der Beklagten vom 22.9.2015 sind auch nicht als beschönigend, verharmlosend oder bewusst falsch zu beanstanden.

Die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten setzte sich auch nicht durch die Implementierung des Thermofensters in veränderter Form fort. Unterstellt, es handele sich um eine neue unzulässige Abschalteinrichtung, reicht dies nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Weitere notwendige Umstände, nämlich das Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen, bei der Entwicklung des Softwareupdates eine weitere unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und dies billigend in Kauf zu nehmen, konnten nicht festgestellt werden. Vielmehr hat das KBA das Softwareupdate auf das Nichtvorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen, die vorhandenen Abschalteinrichtungen als zulässig eingestuft und die ursprünglich angegebenen Verbrauchswerte und Leistung bestätigt. Anhaltspunkte, das KBA sei von der Beklagten im Zusammenhang mit dem Softwareupdate getäuscht worden, wurden klägerseitig nicht vorgetragen.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 03.11.2021 18:00
Quelle: BGH online

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