Aktuell in der MDR

Modernisierung des notariellen Berufs? - Neue Regelungen zur Berufsausübung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Geschlechtergerechtigkeit (Grziwotz, MDR 2021, 1173)

Die Bundesnotarordnung wurde durch das Gesetz zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften v. 25.6.2021, BGBl. 2021 I, S. 2154, das am 1.8.2021 in Kraft getreten ist bzw. teilweise – vor allem hinsichtlich der Aufbewahrungsregelungen – am 1.1.2022 in Kraft treten wird, in unterschiedlichen Bereichen geändert. Neben inhaltlichen Neuerungen und der angestrebten Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat der Gesetzgeber den wenig erfolgreichen Versuch unternommen, sprachliche Geschlechtergerechtigkeit zu realisieren.

I. Einsichtsrecht in notarielle Urkunden, Aufbewahrung und Datenschutz
1. Aufbewahrung
a) Fristen
b) Abgabe an die Staatsarchive
2. Recht auf Einsicht in notarielle Urkunden
a) Urkundsbeteiligte und deren Nachfolger
b) Presse
c) Zur Betreibung von Forschungsvorhaben
aa) Antrag
bb) Eröffnung des Zugangs
cc) Imprimatur vor Veröffentlichung der Forschungsergebnisse
II. Vereinbarkeit von Familie und Notariat
1. Zusicherung der Wiederbestellung
2. Amtsniederlegung
a) Familienbezogene Gründe
b) Gesundheitliche Gründe
c) Rechte während der Amtsniederlegung
III. Weitere Änderungen (v.a. Verbot von Mitarbeiterangeboten)
1. Begriffliche und formale Änderungen
2. Strukturierung
3. Anforderungen
4. Regelungen hinsichtlich der Kammern und der Dienstaufsicht
5. Verbot der Gebührenbefreiung (§ 17 Abs. 1 S. 2 BNotO)
IV. „Gendern“ mit Männervorrang
V. Fazit


I. Einsichtsrecht in notarielle Urkunden, Aufbewahrung und Datenschutz

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Notarielle Urkunden sind nicht Eigentum des Notars oder der Notarin als Urkundspersonen, sondern Staatseigentum.  Eine Niederschrift, die nicht im Ausland verwendet wird, als Verfügung von Todes wegen an das Nachlassgericht abzuliefern ist oder als Erbvertrag aus der notariellen Verwahrung herausgenommenen und an die Beteiligten ausgehändigt wird (§§ 45 Abs. 2 BeurkG, ab 1.1.2022 § 45a BeurkG, §§ 34 Abs. 1 und 2, 34 a Abs. 3 BeurkG, § 2300 Abs. 2 S. 1 BGB), bleibt deshalb in notarieller Verwahrung; eine Urkunde in Form eines Vermerks (meist Unterschriftsbeglaubigungen) ist an die Beteiligten auszuhändigen, sofern nicht die Verwahrung im Notariat verlangt wird (§ 45 Abs. 1 und 3 BeurkG).

1. Aufbewahrung

a) Fristen

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Urkunden waren ohne zeitliche Begrenzung aufzubewahren (vgl. § 5 Abs. 4 S. 3 DONot; erst durch die Änderung des DONot von 1950 wurde die Frist hinsichtlich der Aufbewahrung der Urkundensammlung für Vorgänge ab 1.1.1950 auf 100 Jahre verkürzt (§ 5 Abs. 4 S. 1 Spiegelstrich 1, S. 3 bis 5 DONot). Ab 1.1.2022 betragen die Aufbewahrungsfristen für Dokumente in Papierform in der Urkundensammlung 30 Jahre, ausgenommen Erbverträge, für Dokumente in der elektronischen Urkundensammlung 100 Jahre, wobei die Frist mit dem der Amtshandlung folgenden Kalenderjahr beginnt (§ 50 Abs. 1 Nr. 3 und 5 NotAktVV). Die 100-jährige Aufbewahrungsfrist gilt entsprechend für die Urkundenrolle bzw. das elektronische Urkundenverzeichnis (§ 5 Abs. 4 S. 1 1. Spiegelstrich DONot, § 50 Abs. 1 Nr. 1 NotAktVV). Grund für die langen Aufbewahrungsfristen über die Dauer der Verjährung der materiellen Ansprüche hinaus ist die Beweisfunktion notarieller Urkunden, die erhalten bleiben soll. Sie hat sich nach dem 2. Weltkrieg als wichtig erwiesen; dies könnte künftig auch bei zunehmenden Naturkatastrophen aufgrund des Klimawandels der Fall sein.

b) Abgabe an die Staatsarchive
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Nach § 51 Abs. 5 S. 1 BNotO bestimmen derzeit die Landesjustizverwaltungen, ab welchem Zeitpunkt notarielle Urkunden an die Staatsarchive abgegeben werden können. Dies ist landesrechtlich, soweit von der Ermächtigung Gebrauch gemacht wurde, unterschiedlich meist ab 50 bis 60 Jahren der Fall.  Ab 1.1.2022 betrifft die Vorschrift nur Urkunden, deren Aufbewahrungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Bei der Abgabe handelt es sich um ein reines Aufbewahrungsverhältnis  und nicht um eine Abgabe nach den archivrechtlichen Vorschriften der Länder. Diese regeln als Konsequenz des Volkszählungsurteils des BVerfG  die Konkurrenz zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung der einzelnen Person, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), und der Informations- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 und 4 GG). Dies betrifft vor allem auch die Benutzung durch Dritte.  Regelmäßig ist dies erst einige Jahre (z.B. 10 Jahre) nach dem Tod der betroffenen Person der Fall.  Der Persönlichkeitsschutz endet nämlich nach h.M. grundsätzlich mit dem Tod des Betroffenen; soweit ein postmortaler Persönlichkeitsschutz im Sinne eines Wert- und Achtungsanspruchs anzuerkennen sein soll, verblasst er jedenfalls mit zeitlichem Abstand allmählich.  Diese archivrechtlichen Vorschriften sind bei einer Abgabe an das Staatsarchiv des entsprechenden Landes nicht anzuwenden. Über die Gewährung einer Einsicht in Urkunden, deren Aufbewahrungsfristen noch nicht abgelaufen sind, entscheidet vielmehr der Notar oder die Notarin, die die Urkunden zur „Aufbewahrung“ abgegeben haben bzw. deren Amtsnachfolger bzw. Amtsnachfolgerin, soweit nicht die §§ 18a ff. BNotO anwendbar sind (§ 51 Abs. 5 S. 2 und 3 BNotO n.F; vgl. auch § 120 Abs. 2 BNotO n.F. bei einer Abgabe durch das AG). . Nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist sind ab 1.1.2022 die Urkundenrolle, das Namensverzeichnis zur Urkundenrolle und die in der Urkundensammlung verwahrten Schriftstücke der Jahrgänge bis einschließlich 2021 dem zuständigen öffentlichen Archiv nach den jeweiligen archivrechtlichen Vorschriften anzubieten (§ 120 Abs. 1 BNotO n.F.); für sie gelten dann die archivrechtlichen Vorschriften.

2. Recht auf Einsicht in notarielle Urkunden

a) Urkundsbeteiligte und deren Nachfolger

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Nach § 51 Abs. 3 BeurkG steht ein Anspruch auf Einsicht in notarielle Urkunden, deren Aufbewahrungsfrist noch nicht abgelaufen ist, jedem Urkundsbeteiligten sowie deren Rechtsnachfolgern zu. Gesamtrechtsnachfolger sind die Erben der Beteiligten, die Erwerber eines Erbteils, Gesellschafter, denen das Gesellschaftsvermögen angewachsen ist, sowie der übernehmende Rechtsträger bei einer Umwandlung.  Sonderrechtsnachfolger sind diejenigen Personen, die im Wege der Einzelrechtsübertragung, z.B. Vertrags- oder Schuldübernahme, Abtretung, Pfändung oder Verpfändung, Rechte und Pflichten übernommen haben, die in der notariellen Urkunde, in die Einsicht genommen werden soll, vereinbart wurden.

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Die Einsichtnahme ist beschränkt auf den Umfang der übernommenen Rechte und Pflichten. Betreffen sie nur einen Teil des Vereinbarten besteht auch nur insoweit das Einsichtsrecht. Häufiges Beispiel ist die Bestellung einer Grunddienstbarkeit in einem Kaufvertrag.  Demgegenüber hat der Erwerber einer Eigentumswohnung ein Einsichtsrecht hinsichtlich der gesamten Teilungserklärung samt Gemeinschaftsordnung und der Käufer eines Erbbaurechts in der Regel in den gesamten Erbbaurechtsvertrag.  Der Erwerber einer Immobilie kann dagegen nicht in sämtliche vorausgehenden Erwerbsurkunden seiner Vorgänger Einsicht nehmen. Ein Recht auf Einsicht in eine Urkunde zu Informationszwecken der Öffentlichkeit oder aus wissenschaftlichen Gründen bestand bisher nicht. Dagegen umfasst das berechtigte Interesse nach § 12 Abs. 1 S. 1 GBO auch das öffentliche Interesse, insbesondere ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.10.2021 10:21
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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